Kein roter Teppich für Erpresser

Reden wir über Geld.  Bei Löhnen und Gehältern können wir dem Finanzminister nichts vormachen. Geht es aber um Kapitaleinkommen, also um Zinsen, Dividenden und Kursgewinne, schaut er weg. Das bleibt nicht ohne Folgen.

Eva Maria Bachinger, Foto: Uschi Oswald, Publiziert in Salzburger Nachrichten, Dürnstein 2014

„Geld regiert die Welt – sollte es aber nicht“, sagt der Publizist Christian Felber.  Das Steuersystem hält er für hochgradig ungerecht. Arbeitseinkommen sollten entlastet werden, Kapitaleinkommen höher besteuert. Steuervollzug sollte Priorität haben wie der Schutz von Eigentum. 

Sie haben fünf kritische Bücher über das Wirtschaftssystem veröffentlicht. Gibt es nun jedes Jahr ein neues, bis eine neue Wirtschaftsordnung Realität ist? 

Nein, ich bin für Qualität und Entschleunigung. Das letzte Buch „Retten wir den Euro“ wurde 2012 publiziert, da sind fast zwei Jahre Pause dazwischen. 

Sie schlagen eine neue Geldordnung vor. 

Die gegenwärtige Ordnung dient nicht mehr der Gesellschaft und dem guten Leben. Ein demokratisches Gemeinwesen sollte die Spielregeln, nach denen Geld verwendet wird, bewusst bestimmen. Geld ist ein Mittel des Wirtschaftens und nicht der Zweck. Geld ist ein Mittel für das Gemeinwohl. 

Sie schreiben von einem „Nebel“ rund um Geld, es sei nicht klar, welche Funktionen es hat. 

Es gibt viele Funktionen, es gibt auch Lehrbuchmeinungen dazu, die ich aber bewusst nicht verwende, weil sie unser Bild vom Geld verengen. Geld ist ein umfassendes Phänomen mit vielen Dimensionen. Mir geht es darum zu fragen, welche Verwendungen von Geld für das Zusammenleben hilfreich und sinnvoll sind und welche nicht. Das Geldsystem ist derzeit intransparent, ineffizient, ungerecht, instabil und unverständlich – das liegt nicht allein an seinen Funktionen. 

Wie kann das Geldsystem stabiler und gerechter werden? 

Indem Geld zu einem öffentlichen Gut wird. Das umschließt vier Aspekte: Erstens: Die Zentralbank ist die alleinige Ausgabestelle für Geld. Zweitens: Bar- und auch Buchgeld bleiben im Eigentum der demokratischen Zentralbank. Drittens: Alle Banken müssen dem Gemeinwohl dienen. Und viertens: Die Spielregeln der Geldordnung werden demokratisch gemacht, im Buch schlage ich dafür dezentrale „Geldkonvente“ vor. 

Welche neuen Spielregeln in Hinblick auf das Steuersystem schlagen Sie vor? 

Der Staat ist sehr konsequent beim Schutz von Eigentum. Mit der gleichen Konsequenz sollte er aber auch beim Steuervollzug vorgehen. Da herrscht derzeit eine krasse Asymmetrie: Arbeitseinkommen und Umsätze werden automatisch gemeldet oder versteuert. Kapitaleinkommen werden dagegen weder ans Finanzamt noch an die Sozialversicherung gemeldet. Der Finanzminister blickt bei Löhnen und Gehältern schamlos in das „ökonomische Schlafzimmer“; bei Zinsen, Dividenden und Kursgewinnen schaut er weg. Infolge der gleichen Meldung aller Einkommen sollten, zweitens, Leistungseinkommen geringer besteuert werden als Kapitaleinkommen und die Sozialversicherungspflicht auf das gesamte Jahreseinkommen ausgeweitet werden. Drittens müsste die Ungleichheit und damit die Machtkonzentration an sich begrenzt werden, indem ab einem sehr hohen Einkommen und Vermögen 100 Prozent Steuer zu leisten ist. Entscheidend ist, dass diese Grenzen in einem demokratischen Prozess festzulegen sind. Privatvermögen soll als Ausdruck unserer Eigentumsfreiheit geschützt werden, aber es sollte Obergrenzen geben, um gleiche Rechte und Freiheiten aller zu wahren. 

Nun sind die Steuern auf höhere Einkommen von beispielsweise Unternehmern, Ärzten, Anwälten sehr hoch. Sie sind wohl nicht bereit, noch mehr Steuern zu zahlen. 

Ja, der Faktor Arbeit wird derzeit viel zu hoch belastet. Die Progression greift viel zu früh. Doch die eine Reform ermöglicht die andere: Wenn man Kapitaleinkommen und Vermögen höher besteuert, kann man nicht nur die Steuersätze für die unteren Arbeitseinkommen senken, sondern auch den gegenwärtigen Spitzensteuersatz höher ansetzen, zum Beispiel bei 100.000 Euro. Derzeit zahlt jemand mit einem Einkommen von 50.000 Euro für jeden weiteren Euro gleich viel Steuern wie jemand, der zehn Millionen im Jahr verdient. Das ist weder liberal noch leistungsgerecht. 

Die unteren Einkommensschichten zahlen ja jetzt schon keine Lohnsteuer. 

Das ist eine sehr selektive Betrachtung des Steuer- und Abgabensystems. Nur die Einkommenssteuer ist progressiv. Die Mehrwertsteuer wirkt umgekehrt regressiv: Je weniger jemand verdient, desto höher der Anteil des Einkommens, das „doppelt“ besteuert wird beim Konsum. Noch stärker regressiv wirken die Sozialversicherungsbeiträge: Sie gehen beim ersten Euro los, wer aber in Österreich monatlich eine Million Euro verdient, zahlt für 995.000 Euro keinen Cent Sozialversicherungsbeitrag. In Summe ist die Gesamtabgabenbelastung der Supermarktkassiererin fast gleich hoch wie die des Einkommensmillionärs. Darin ist noch nicht eingerechnet, dass der Spitzenverdiener einen Großteil seines Einkommens veranlagen kann und dadurch noch einmal Einkommen bezieht, was die Ungleichheit radikal vergrößert. 

Wenn man aber Vermögen besteuert, dann wird es ja noch mal besteuert, da dafür bereits Einkommenssteuer abgeführt wurde. Aus der ÖVP hört man immer wieder, das sei eine Neiddebatte. 

Das ist ein Argument aus der Kiste der Kampfrhetorik. Neid ist, wenn ich jemandem etwas missgönne, was er oder sie zu Recht verdient hat. Die Forderung nach Begrenzung der Ungleichheit oder der höheren Besteuerung von Besitzeinkommen gegenüber Kapitaleinkommen ist liberal und ganz im Sinne der Leistungsgerechtigkeit. Der Ertrag aus Vermögen ist ein neues Einkommen, insofern ist es sachlich falsch, hier von Doppelbesteuerung zu sprechen. Wem eine so verstandene „Doppelbesteuerung“ tatsächlich ein Dorn im Auge wäre, müsste konsequenterweise zuerst für die Abschaffung der Mehrwertsteuer eintreten: Hier wird dasselbe Arbeitseinkommen, das bereits voll versteuert wurde, beim Konsum erneut besteuert. 

In Ihrem Buch kritisieren Sie, dass große Konzerne wie Google, Amazon oder Starbucks kaum Steuern hierzulande zahlen. Andererseits kann man argumentieren, dass sie Arbeitsplätze schaffen oder reale Bedürfnisse bedienen. 

Gleichgut könnte ein Dieb sagen, ich verschenke eh Zuckerl an die Kinder. Entweder haben in einer Demokratie alle gleiche Rechte und Pflichten, oder das ist keine liberale Demokratie. Der Steuervollzug muss bei Konzernen und vermögenden Privatpersonen genauso greifen wie bei allen anderen. Maßnahmen gegen Steuervermeidung – bis zur Knüpfung des freien Kapitalverkehrs an Steuerkooperation – sollten eine gleich hohe Priorität haben wie Eigentumsschutz. 

Die Konzerne könnten aber sagen, gut, dann sind wir nicht mehr in Österreich vertreten. 

Wir müssen Erpressern nicht auch noch den roten Teppich ausrollen. Sie sind vom EU-Markt abhängig. Die Demokratie sitzt auf dem längeren Ast – wenn es sie gäbe. Deshalb ist der wichtigste Vorschlag der nach demokratischen Geldkonventen. 

Sie wurden in Medien als „Finanz-Missionar“ bezeichnet oder als „herzjesumarxistischer Attac-Propagandist“. Sind Sie missionarisch? 

Ich bin Visionär, nicht Missionar. 

 
 

“Ich bin Visionär, nicht Missionar.”

Christian Felber 

Geboren 1972 in Salzburg, studierte Romanische Spra- chen, Politik, Soziologie und Psychologie in Wien und Madrid. Entwickelte mit Gleichgesinnten die Gemeinwohlöko- nomie, eine Wirtschaftsform, die nicht Profit in den Mittelpunkt stellt, sondern das Ge- meinwohl. Felber publizierte zahlreiche Bücher: „Retten wir den Euro“, „Neue Werte für die Wirtschaft“ oder „Kooperation statt Konkurrenz“. Am Montag erscheint im Deuticke-Verlag „Geld. Die neuen Spielregeln“. 

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