„Mehr sein, weniger haben“
Die Künstlerin Eva Gruber hat den Fluss Schwarza in Niederösterreich durch die vier
Jahreszeiten begleitet: „landart“ nennt sich die malerische Gestaltung am Flussufer, die Elemente sind Mitgestalter. Die Momentaufnahmen hat sie in dem Buch „Ein Jahr am Fluss“
festgehalten. Durch Landschaften ist sie auch wochenlang an der Vía de la Plata von Sevilla nach Santiago de Compostela und auf Franziskusweg von La Verna nach Rieti gezogen.
Eva Maria Bachinger, Foto: Lydia Matzka-Saboi, Publiziert in Salzburger Nachrichten, Wien
Eva Gruber trägt die Farben der Natur, Blau und Grün. Der Moment ist in ihrer künstlerischen Arbeit zentral: Durch Wind und Wetter verändern sich die Gestaltungen, ein Foto hält nur einen Augenblick fest, der nächste kann wieder ganz anders sein. „Die Natur gibt vor, inspiriert, gestaltet und löscht auch aus. Sie lehrt mich loszulassen“. Auch beim wochenlangen Gehen lerne man sich auf die wesentlichen Dinge zu reduzieren. Nach dem Motto: Mehr sein, weniger haben.
Sie sind im Höllental zwischen Rax und Schneeberg aufgewachsen. Was bedeutet es heute für Sie?
Es ist mein Paradies und bereits von Kindheit an ein Lieblingsort. Ich hatte früher schon das Gefühl, da hinten im Tal wartet etwas auf mich. Dann habe ich zwei Jahre lang meine ganze Freizeit an der Schwarza verbracht, ein glasklarer, smaragdgrüner und eiskalter Fluss, und das Ufer gestaltet, mit dem, was ich vorgefunden habe.
Wie sind die Ideen dazu entstanden?
Unterschiedlich. Irgendetwas ist mir aufgefallen, die Rinne, die vom Baum leicht ablösbar ist, oder der Schnee, der besonders kompakt ist. Oder es gab wunderbar bunte Blätter. Die Natur gibt vieles vor. Sie ist die Inspirationsquelle schlechthin. Aber es konnte auch sein, dass ich mit einer vorgefassten Idee ins Tal ging. Das kann gut gehen, aber auch nicht. Vor allem im Winter geht es fast nie gut. Der Schnee ist am Vormittag anders als am Nachmittag oder im Schnee können die Fußtritte das Bild stören. Die Natur gibt vor, gestaltet und löscht auch aus.
Sie fangen Momente ein. Wenig später kann alles anders aussehen.
Die Vergänglichkeit ist in vielen Gestaltungen sehr deutlich da. Das kann man nun morbid nennen, aber für mich ist es ein Lob des Augenblicks. Der Wert des Lebens zeigt sich auch dadurch, dass es endlich ist. Die Rose wäre nicht so schön, würde sie nicht verwelken und wüssten wir das nicht auch. Ich bin von meiner Anlage her stabil und anhaftend. Es ist befreiend, dass mich die Natur lehrt loszulassen.
Wollten Sie mit Ihrer Arbeit einen Kontrapunkt zum Kontrollwahn setzen?
Ich glaube, dass diese Rückbezüglichkeit viele Gefahren in sich birgt. Eine dankbare, demütige Haltung ist mir näher. Also zu sagen, was ich hier tun kann, ist auch ein Geschenk.
Es passiert aber auch nur etwas, wenn sie etwas machen.
Ja, und dann kommt ein Windhauch, und alles ist anders. Es ist ein Sinnbild. Wir werfen unsere Kugel ins Roulette, aber man ist auch umgeben von Mitspielern und anderen Faktoren, die Einfluss haben.
Warum werden die Fotos von Zen-Texten begleitet?
Die Reduktion der Gestaltung liegt mir. Wenn ich mehrere Kiesel einfach gestalte, ist für mich darin eine Verbeugung vor dem Kiesel deutlicher, als wenn es ein Durcheinander mit verschiedenen Materialien ist. Die Texte passen dazu wie der Handschuh zur Hand.
Ist die Liebe zur Natur durch Ihre Kindheit geprägt?
Bestimmt. Mein Vater ist Bergführer. Meinen ersten Lebensmonat habe ich auf einer Hütte auf der Rax verbracht. Ich wurde sozusagen mit Quellwasser gewaschen und am Herdfeuer gewärmt. Meine Eltern haben auch auf der Rax geheiratet. Als Kind hatte ich die Männer vom Bergrettungsverein als Freunde.
Haben Sie schon beim Arbeiten am Fluss über die Verwertung nachgedacht?
Es war ein großes inneres Bedürfnis gestalterisch tätig zu sein und meine große Liebe zur Natur zu äußern. Das war so anstehend, dass ich förmlich explodiert bin. Es war bald klar, dass ich nicht mehr brav Pressefrau im Büro sein kann. Ich wusste, ich muss dieser Sehnsucht mehr Raum geben.
Wie war der Wechsel vom sicheren Job in die freie Tätigkeit?
Atemberaubend. Es ist zu 49 Prozent Angst dabei und 51 Prozent Sehnsucht. Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben, sondern etwas trotz Angst zu tun. Nun mache ich Ausstellungen, Workshops, Vorträge und arbeite als Grafikerin. Es sind mehrere Standbeine und das beruhigt.
Was machen Sie in den Workshops?
Ich bringe Materialien zum Gestalten mit, Bücher und theoretische Überlegungen. Viele behaupten ja, sie seien nicht kreativ. Ich will die Teilnehmer darauf aufmerksam machen, dass die Idee in der Luft liegt und man muss nur die Hand ausstrecken. Ich habe früher geglaubt, nicht kreativ zu sein und darunter gelitten. Deshalb ist es mir ein Anliegen, andere an ihre Kreativität zu erinnern. Ich bin sozusagen Hebamme.
Wie können Sie sich fürs Wandern immer wieder freinehmen?
Natürlich war die Bereitschaft da, den Gürtel enger zu schnallen und auf Sicherheit weitgehend zu verzichten. Es gibt nun mal kein 13. und 14. Monatsgehalt, und das Einkommen ist unregelmäßig. Mir kommt vor, es ist ständig ein Deal in dieser Welt: ent- weder mehr Zeit oder mehr Geld. Ich habe mich für mehr Zeit entschieden. Ich gönne mir einmal im Jahr eine Fernreise, sonst bin ich mit dem Campingbus unterwegs. Das ist nicht teuer. Ich habe mich von vielen Dingen getrennt, um Platz zu schaffen. Wieder mehr sein und weniger haben.
Was ist der Vorteil des Gehens?
Wenn es Spannung gibt, gehe ich spazieren, und meistens fühle ich mich danach besser. Auf einem Weitwanderweg gelangt man in tiefere Schichten und man kommt nicht umhin zu hören, wie es einem geht. Das Gehen verbindet auch stark mit dem Körper. Ich höre das Herz pochen, ich schwitze, habe einen Muskelkater und es ist der Himmel, sich abends ausstrecken zu können. Wie so viele Frauen habe ich ewig gehadert, da zu dick, dort passt es nicht und gerade auf dem Jakobsweg habe ich mich mit meinem Körper angefreundet. Die Zeit wird sinnlich demonstriert, ganz konkret, nicht mit dem Zei- ger auf der Uhr. Da ist eine Ebene mit einem Baum, und ich gehe ganz lange darauf zu, dann bin ich gleichauf, dann ist er hinter mir. Oder ich lerne jemanden kennen, und wir müssen uns bald wieder verabschieden. Es ist besser, wenn wir miteinander eine gute Zeit verbringen. Das Gehen ist still und langsam, es ist eine Metapher für den Lebensweg. Es lehrt einem, sein Tempo zu finden und es auch einzuhalten. Das ist im Leben auch so. Wenn ich mich überfordere, wird sich das rächen. Beim Gehen spürt man das sofort. Die Hüfte fängt zu schmerzen an, der Rücken.
Wieso pilgern jetzt so viele Menschen?
Es gibt ein hohes Bedürfnis, aus dem Trott auszusteigen. Eine Sehnsucht, sich wieder zu finden, sich zu besinnen und Dinge zu lassen. Ich glaub, unsere Zeit fordert dazu auf. Es gibt auch eine Sehnsucht nach einer Spiritualität, die körperlich erfahrbar ist, die im normalen Kirchenbetrieb fehlt.
Wo liegen die Unterschiede der beiden Weitwanderwege?
Die Vía de la Plata wurde vor 3000 Jahren von Hirten angelegt und später von den Römern befestigt. Seit 820 ist es ein Pilgerweg. Er führt durch Andalusien, durch die wundervolle Stadt Sevilla bis nach Galizien und bringt eine große Bandbreite an Atmosphäre, Mentalität, Fauna, Flora und Klima mit. Galizien ist wie Schottland, in Andalusien scheint die Sonne an 300 Tagen, es ist heiß und blühend. Er ist mehr als 1000 Kilometer lang, der Franziskusweg ist hingegen nur 350 Kilometer lang. Die Landschaft ist idyllischer, man zieht durch die Toskana, Umbrien, durch Städte wie Gubbio, Assisi und Spoleto. Der Weg verbindet stark mit Franziskus. Er ist ein sympathischer Heiliger, der wichtige Botschaften für heute hat. Geliebt zu werden ist nicht so wichtig, sondern selbst zu lieben. Diese Erkenntnis verdanke ich dem Weg.
“Es gibt ein hohes Bedürfnis, aus dem Trott auszusteigen. Eine Sehnsucht, sich wieder zu finden, sich zu besinnen und Dinge zu lassen.”
Eva Gruber
Geboren 1963, hat Germanistik und Anglistik studiert. Sie war Leiterin der PR-Abtei- lungen bei den Verlagen Böhlau und Brandstätter. Heute lebt sie als freie Künstlerin in Gloggnitz in Niederösterreich.