Heimat ist nicht nur ein Ort.

Heimat kann nicht nur ein Ort und eine Identität vielfältig sein. Die 30-jährige Philosophin Amani Abuzahra kennt Antworten auf Fragen nach Integration, Religion und Heimat – aber sie stellt auch gern so manche Bilder im Kopf in Frage. Schubladen seien normal, aber man sollte gewillt sein, umzusortieren, sagt sie. 

Eva Maria Bachinger, Foto: Anna Beskova, Publiziert in Salzburger Nachrichten, Wien 2013

Die U-Bahn leert sich. Wie viele islamische Einrichtungen liegt auch die Ausbildungsstätte für islamische Religionslehrer am Stadtrand. Da es weit und breit keinen Supermarkt oder ein Gasthaus gibt, ist es nicht so einfach, zu einem Mittagessen zu kommen. Auch das erfährt man von Amani Abuzahra, während sie durch die Räume führt, in denen sie unterrichtet. 

Warum tragen Sie Waldviertler-Schuhe? 

Aus Überzeugung. Es ist wichtig zu wissen, woher die Schuhe kommen. Das bedeutet für mich Verantwortung und Verbundenheit mit der Natur und mit Österreich. 

Sie sind Philosophin, tragen Kopftuch, sprechen auch oberösterreichischen Dialekt. Sie entsprechen nicht dem Klischee einer Muslimin. 

Schubladen sind normal, aber man sollte auch gewillt sein, umzusortieren. Dieser Wille fehlt teilweise. Mein Auftreten irritiert, aber ich finde das gut, denn es fordert zum Nachdenken auf. 

Was ist für Sie Heimat?

Für mich war immer selbstverständlich, dass ich Österreicherin bin. Dann kamen die Fragen, woher bist du denn nun wirklich? Wo ist es schöner, hier oder in Palästina? Doch es ist für mich normal, dass ich auf den Christkindlmarkt gehe und das Fastenbrechen feiere. Oft empfinde ich die Debatten über Integration überflüssig, denn teilweise sind die Menschen längst angekommen und beanspruchen Österreich als ihre Heimat. Man muss aber auch weg von dem Bild, dass Heimat nur ein Ort sei. Österreich ist für mich Heimat, durch meine Eltern habe ich aber starke palästinensische Wurzeln. 

Und der Islam?

Er ist ein wichtiger Teil meiner Identität. Die vielen Anfragen von außen, die Forderung nach einer Positionierung haben mich zum Thema der Identitäten gebracht. Wer bestimmt, wer ich bin, wer hat die Definitionsmacht, ich selbst oder die anderen? Ich sehe es auch als meine Verantwortung an, über den Islam zu reden, vor allem, wenn ich mir ansehe, wer Wissen darüber produziert. 

In welche Richtung sollte die Integrations-Debatte gehen? 

Über Integration zu sprechen, hat seine Berechtigung, aber irgendwann ist es obsolet. Integration ist eine Phase. Ab dem Zeitpunkt, an dem man sich zugehörig fühlt, ist man integriert. Nicht das Sprachniveau oder Landeskenntnisse sind entscheidend. Nun sollte es in Richtung Teilhabe gehen. Wenn anerkannt wird, dass man hier beheimatet ist, fühlt man sich auch verantwortlich, positiv zu wirken, weil es die eigene Gesellschaft geworden ist. Wenn man aber immer einen Riegel vorschiebt, ihr müsst euch integrieren, fragt man sich, was denn noch alles? Das ist dann Assimilation, das Ablegen von kultureller und religiöser Identität. 

Ist der Islam eine österreichische Religion? 

Ja, ganz klar. 

Viele werden sich vor den Kopf gestoßen fühlen, wenn sie das hören. Weil der Islam nicht so kulturell verankert ist wie das Christentum. 

Da ist die Frage, was versteht man unter fremd? Es ist ein Problem, dass der Islam als fremd markiert ist. Muslime prägen Österreich schon länger. 

Können Sie Beispiele nennen?

Wenn man bei der Johanneskapelle in Pürgg in der Steiermark in kufischer Schrift Allah über dem Gekreuzigten liest oder einem bewusst wird, dass das Wort „hatschn“ von der „Hadsch“ nach Mekka kommt oder auch „Schach matt“ aus dem Arabischen stammt, merkt man, wie verflochten alles ist. Es geht nicht mehr um das Kennenlernen der Unterschiede, sondern der eigenen Kultur. Nur gilt es, diese neuen Erzählstränge der Geschichte auch zuzulassen. Was haben wir von den anderen übernommen, ist das Fremde nicht auch das Eigene? Das ist wichtig für Muslime: Dieses Bewusstsein, ich habe hier Geschichte. 

Vielleicht ist doch mehr Zeit nötig, bis der Islam als „österreichisch“ gilt.

Der Islam ist seit 1912 gesetzlich anerkannt, aber gesellschaftlich schaut es anders aus. Das Kopftuch ist nachteilig bei der Arbeitssuche, beim Schwimmen mit Burkini fühlen sich andere Badegäste gestört. Die Frage ist, wie lang will man am „Na ja, ganz gehört ihr aber nicht dazu“ festhalten. Was fehlt dann für dieses Dazugehören, was ist der Maßstab? Ausgehend vom „Gastarbeiter“, „Zuwanderer“ sind wir nun bei „Menschen mit Migrationshintergrund“. Wir sind noch nicht bei „Ö̈sterreicher“. Bei Menschen, die hier studiert, einen Job und eine Familie haben, wird noch immer auf die Herkunft verwiesen. Das prägt unser Denken und es wird bewusst instrumentalisiert gegen Muslime – wie eine Partei das mit „Daham statt Islam“ getan hat. Dann wird nicht mehr gefragt, woher kommst du, sondern gefordert: „Geht’s dorthin wo’s herkommts!“ Ich bin überzeugt, dass mehr Begegnungen nötig sind. Allein die Tatsache, dass jemand Muslim ist, schreckt ab. 

Hebammen in einem Spital beklagen, dass Muslime ihre Autorität nicht akzeptieren würden, dass sie ihnen nicht einmal die Hand zur Begrüßung geben wollen. 

Man muss stets differenzieren: Nicht alle Muslime machen das. Das hat oft auch überhaupt nichts mit Islam zu tun. Ich habe am Flughafen erlebt, dass orthodoxe Juden bei einer Frau nicht einchecken wollten. Ich finde es wichtig, dass man interkulturelle Schulungen anbietet. Es fehlt Wissen über den Islam und Traditionen, die dem Islam auch widersprechen können. Man muss aber auch daran arbeiten, wie man emotional damit umgeht, wenn jemand anders lebt, liebt oder glaubt. Denn wenn man das nicht annehmen kann, kann man noch so einen guten Vortrag über den Islam halten, es wird nicht viel nützen. Es ist zu fragen, was stört konkret und welche Strategien kann man anwenden? Es gilt auszuhalten, dass es verschiedene Lebensformen gibt und man sich selbst nicht immer als die Norm sehen kann. Es ist sehr viel Arbeit, dorthin zu kommen, ohne sich bedroht zu fühlen. Auch Muslime müs- sen selbstkritisch sein und verstehen, warum jemand negativ reagiert. 

Einige Unternehmer haben mir gesagt, dass sie keine Frau mit Kopftuch anstellen würden. Sie wollen keine religiösen Symbole in der Firma haben, auch nicht Kreuz oder Kippa. 

Wir sind eine multikulturelle Gesellschaft. Es ist so. Wenn man auf die Straße schaut, gibt es Männer mit Turban und Frauen mit Kopftuch. Dass man sie gerade im Arbeitsbereich weglässt, finde ich scheinheilig. Man vertut damit die Chance zu lernen, damit umzugehen, dass es normal ist, von einer Frau mit Kopftuch an der Kassa bedient zu werden. Es gibt vehement die Forderung an die Muslime, die Frauen sollen präsenter und selbstbestimmt sein. Wenn sie sich aber dann bewerben und es heißt, ja, aber nur ohne Kopftuch, dann ist das ein Widerspruch. Außerdem ist es Diskriminierung. 

Es werden ohnehin meist andere Gründe vorgeschoben. 

Ja, das stört mich sehr. Man sollte den Grund offen sagen. Dann kann man kontern. Durch den Konflikt tun sich Lernfenster auf. Geht es um den Islam, geht es um die Religion an sich, geht es um den Verlust seiner eigenen Identität? Es hat fatale Auswirkungen, wenn man Frauen mit Kopftuch verwehrt, einem Beruf nachzugehen. Man drängt sie in die Abhängigkeit. Manche Unternehmen gehen es gelassener an und berücksichtigen Vielfalt: in der Kantine, mit eigenen Gebetsräumen oder sogar mit Kopftüchern im Firmendesign. 

Wenn man aber den wahren Grund nennt, droht eine Klage. 

Es ist nicht akzeptabel, dass jemand aufgrund seines Geschlechts, seiner Hautfarbe oder eben seiner religiösen Überzeugung diskriminiert werden darf. Dies basiert auf einer gesetzlichen Grundlage, die ich für absolut notwendig halte. Sollte es bei einem Verstoß keine Konsequenzen geben, welchen Sinn hätte dann das Gesetz? 

 
 
 

“Der Islam ist ein wichtiger Teil meiner Identität“

Amani Abuzahra, 30, Österreicherin mit Wurzeln in Palästina, Philosophin und Diversity-Trainerin. Sie lehrt am privaten Hochschulstudiengang für Islamische Religion und an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule in Wien. Im Passagen-Verlag veröffentlichte sie das Buch „Kulturelle Identität in einer multikulturellen Gesellschaft“. Seit zwei Jahren ist sie Mitglied im Obersten Rat der Islamischen Glaubensgemeinschaft.

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Ingrid Marth