Mit den Bergen altern
Bergsteigen ist für viele eine lebenslange Leidenschaft. Je älter man wird, desto weniger zählen bekannte Berggipfel und Schnelligkeit, sondern wichtiger wird, dass man es schön hat und wieder gesund nach Hause kommt. Die Perspektiven ändern sich, wenn das Alter Abstriche verlangt. Zwei beeindruckende Frauen erzählen davon.
Text: Eva Maria Bachinger, Foto: Privat
Südtirol & Gloggnitz, 2013
Publiziert in Bergauf
Beate Mumelter sitzt vor der Tabarettahütte auf 2.556 Meter und genießt Kaffee und Kuchen. Hoch oben blitzt der vergletscherte Gipfel des Ortlers in der Sonne, ein Bartgeier zieht seine Kreise. Sie war heute mit einer Freundin und dem Bergsteiger Hanspeter Eisendle auf dem höchsten Berg Südtirols. Es war aber nur eine Aufwärmrunde: Die legendäre Preuß-Route am Campanile Basso folgt sowie in Chamonix am Brevent die Frison Roche. Später wird sie noch „saftige Granitklettereien“ im Bergell genießen. Mumelter ist gut trainiert, aufgeweckt und redselig, ihre Fingergelenke und Fingerkuppen sind die Abzeichen einer guten Kletterin. „Ich bin heuer klammheimlich 70 geworden. Ich habe es nicht gespürt, aber der Kalender sagt es. Ich habe es so gedeichselt, dass ich von meiner Familie nicht gefeiert werden konnte, indem ich bei prachtvollem Wetter in der Cristalloscharte war“, lacht sie.
Bis in den siebten Schwierigkeitsgrad ist sie unterwegs, „aber dann ist Pause“. Dabei hat sie erst spät zum Felsklettern gefunden, erst als ihre Kinder erwachsen waren: „Ich habe einen Kurs „Klettern für 50 plus“ gesehen und dachte mir, das probier ich mal. Ich bin mit viel Bauchweh hingegangen; da waren ältere Damen, aber ich war mit 60 die Älteste.“ Die junge Kletterlehrerin hat sie aber gut eingeführt, erzählt sie. „Ich war sofort von diesem Virus befallen. Bei meiner ersten Klettertour hab‘ ich mich gefreut wie ein kleines Kind.“ Mit Eisendle, den sie vier Jahre zuvor bereits kennengelernt hatte und mit dem sie schon viele Skitouren unternommen hat, ist sie nun auch meistens in den Felswänden unterwegs. Ein wichtiger Höhepunkt war die Begehung der Gelben Kante der Kleinen Zinne. „Und am Heiligkreuzkofel durfte ich zwei heilige Touren machen, die Große Mauer und die Mayerlverschneidung.“ Das Ziel war ihr früher wichtiger, in reiferen Jahren, wie sie sagt, zähle die Planung, die Durchführung und die gesunde Rückkehr.
Sportlich war sie immer, Rennradfahren, Laufen, bis in den neunten Schwangerschaftsmonat ging sie Langlaufen. Mit ihrem mittlerweile verstorbenen Ehemann war sie viel in den Bergen. Sie waren der Viertausender-Krankheit erlegen, erzählt sie. Das reizt sie aber nicht mehr: „Nun sind es schöne Kanten, eine schöne Verschneidung, es muss nichts Bekanntes sein. Ich kann auch sterben, ohne auf dem Matterhorn oder Mont Blanc gewesen zu sein.“ Ein Leben ohne Bergsteigen kann sie sich aber nur schwer vorstellen. „Ich fühl mich am besten, wenn ich voll durchblutet bin. Dann sind alle Sinne frei, man riecht und spürt den Wald, die Wiese intensiver. Wichtig ist auch die Haptik, wenn ich den Felsen angreife, das gibt mir das viel.“ Doch der Gedanke ist da, was ist, wenn es nicht mehr so gut geht. Mumelter hat mittlerweile künstliche Hüften, die ihr keine Probleme bereiten, nur lange Touren mit viel Gepäck gehen nicht mehr so gut. Wichtige Alternativen sind für sie Musik, Literatur und Kunst. Immer wieder reist die Tirolerin nach Wien und München. Dann wird die Bergsteigerkluft gegen ein hübsches Kleid getauscht und sie zieht von Museum zu Museum. „Wenn ich meinen Bewegungsdrang nicht mehr ausüben könnte, wäre das schon schrecklich. Aber irgendwann kann ich wohl nicht mehr klettern gehen, dafür bleiben mir aber wunderbare Erinnerungen.“
Gritli Gruber weiß, wie sich das anfühlt: Nach einer schweren Wirbelsäulenoperation Anfang des Jahres stand im Raum, dass sie vielleicht nie wieder gehen kann. Anfangs konnte sie weder stehen noch ein Bein heben. Mit viel Willenskraft kämpfte sie sich zurück, buchstäblich Schritt für Schritt. Nun fehlt ihr etwas das Gleichgewichtsgefühl, aber es geht wieder aufwärts, sagt sie. Das Licht am Ende des Tunnels war immer die Aussicht auf eine Island-Reise mit ihrer Tochter, der Künstlerin Eva Gruber. Sie sitzt in der Küche ihres Hauses in Gloggnitz und zeigt ihr Knie: Drei Narben ziehen sich entlang, auch die Hüfte ist mittlerweile künstlich. Doch deshalb gab sie nie das Wandern auf.
Kenya, Peru, Bolivien, Nepal, Tansania, Frankreich, …
Als sie zwölf war, brauste ihr Vater mit dem Motorrad zum Gosaukamm, mit ihr hinten drauf. Sie bestiegen die Bischofsmütze. Im Alter von zehn Jahren ging sie den Akademikersteig an der Rax. Auf die Rax zu gehen, wo ihre Eltern eine Hütte hatten, war ihr Sonntagsspaziergang, bereits als Dreijährige war sie oben. „Mit 13 Dachstein, mit 14 Glockner über den Stüdlgrat, mit 15 Drei Zinnen, mit 16 das Matterhorn und so ist das weitergegangen“, erzählt sie. Glück im Unglück hatte sie auch: Mit 18 war sie im Abstieg am Cimone della Pala in den Dolomiten 15 Meter in eine Gletscherspalte gefallen und zog sich Knochenbrüche im Gesicht zu. Ihr späterer Mann Naz holte sie aus der Spalte. Mit ihm ging es jedes Wochenende in die Berge und sie verreisten in alle Herren Länder, immer einander abwechselnd, da sie ein Sportgeschäft gemeinsam betrieben. Ein Höhepunkt war für Gritli Gruber der Cengalo-Pfeiler im Bergell, bedeutsam war zudem der Mount Kenya. Peru, Bolivien, Nepal, Tansania, Frankreich – die Berge zogen sie in viele Länder, bis zunehmend auch die Kulturen interessant wurden.
Mit Mitte 50 fuhr sie aufgrund von Knieproblemen das Bergprogramm zurück und lenkte ihren Blick auf Sandberge in den Wüsten. „Karge Gegenden haben mir schon immer gefallen, diese Weite und Einsamkeit.“ Sie besuchte die Sahara in Mauretanien, Marokko, Libyen, Algerien, Tunesien, die Wüste Gobi, Namib, Rub al-Chali im Oman. Sie denkt nach, dann meint sie: „Aber mein Land ist Ladakh, doch ich glaube, ich vertrage die Höhe wegen meines Blutdrucks nicht mehr. Und man muss schon sechs Stunden pro Tag gehen können. Ich war sehr lange keine Bremse, aber in den letzten Jahren merke ich, dass ich langsamer werde.“
Im Vorzimmer stapeln sich ihre handgewebten Läufer und Polster mit Überzügen aus Schafwolle. Die Farben gewinnt sie aus Naturmaterialien wie Birkenblätter oder Zwiebel. Damit färbt sie die Wolle und lässt sie im Innenhof trocknen. Dann spannt sie sich den Webrahmen auf und arbeitet stundenlang. Die Natur inspiriert sie oft: „Ich bin immer wieder fasziniert von Struktur, Farben, Formen der Natur. Aus dieser Vielfalt kommen meine Ideen für meine Webwaren.“ Kreativ zu sein ist für sie mittlerweile genauso wichtig wie wandern. „Ich lese auch unheimlich gerne, aber nur Lesen, das wäre mir zu wenig.“ In Island konnte sie wieder mehrstündige Wanderungen machen und außerdem, in den Oman will sie auch noch mal. Die Ziele gehen ihr nicht aus.