Grenzgänger und Grenzüberwinder
Der Benediktiner und Zenmeister Willigis Jäger wollte die Mystik von West und Ost vereinen. Er ging zwischen der Brücke von christlicher Kontemplation und Zenmeditation hin und her. Erinnerung an den im März verstorben Wanderer zwischen den Religionen.
Text: Eva Maria Bachinger, Foto: Daniel Peter, Wien 2020
Publiziert in Die Furche
„Der Benediktushof war schon seit Tagen geschlossen, sodass hier Stille herrschte“, schilderte Alexander Poraj, einer der spirituellen Leiter am Benediktushof in Holzkirchen bei Würzburg. Willigis Jäger starb am Morgen des 20. März, kurz nach seinem 95. Geburtstag, als die halbe Welt wegen der Corona-Pandemie zum Stillstand kam. „Das ist sicher kein Zufall – dieser Moment. Es ist ein letztes Signal von dir“, schreibt Paul Kohtes, Vorsitzender der Stiftung „West-Östliche Weisheit“ in einem Nachruf. Bruder Dawid von der Abtei Münsterschwarzach hat dem Verstorbenen die Kukulle übergezogen, den Chormantel der Benediktiner, Poraj hat ihm die Mala, die buddhistische Gebetskette über den rechten Arm gestreift. Er wurde die Treppe hinuntergetragen, wo der offene, sehr schlichte Sarg auf ihn gewartet hat. „Wir haben ihn dort eingebettet, in der Kukulle, mit einer Blume, mit der Mala. So hat er den Hof verlassen und wir läuteten noch zum Abschied die Glocke.“ Für Poraj war es sehr berührend zu sehen, dass es möglich war, das zu verbinden, was Willigis Jäger seit Jahrzehnten so sehr am Herzen lag, die westliche und die östliche Tradition. Gemäß seinem Wunsch wurde er in der Benediktinerabtei Münsterschwarzach, der er 1946 als junger Mann beigetreten war, bestattet.
Benediktiner und Zen-Meister
Jäger studierte ab 1948 Philosophie und Theologie, 1952 folgte die Priesterweihe. Im Klosterinternat war er Lehrer und 1960 wurde er Referent für „Mission und Entwicklung“ bei der Deutschen Katholischen Jugend. Auf ihn ist zurückzuführen, dass die Sternsinger für die Mission sammeln. Sein Engagement für die Entwicklungsarbeit handelte ihm bald den Beinamen „Der rote Pater“ ein. Bei einer Reise nach Japan kam er intensiver mit dem Zen-Buddhismus in Berührung. Ab 1972 durfte er mit Erlaubnis seines Klosters Schüler von Zen- Meister Yamada Ko Un Roshi in Kamakura sein. 1980 wurde er zum Zen-Lehrer ernannt, neben seinem Ordensnamen trug er ab nun den Zen-Namen „Kyo-un Roshi“. Als Benediktinermönch interessierte er sich bereits früh für die Schriften der christlichen Mystiker Johannes von Kreuz, Teresa von Ávila, Johannes Tauler und Meister Eckhart. Um diese Erfahrungen zu vermitteln, hielt Jäger ab 1983 Kontemplationskurse ab. Doch: „Ich stellte fest, dass die christliche Mystik auf die gleiche Ebene führte wie das Zen, über das Rationale und Personale hinaus.“ Er konnte vielen traditionellen Aussagen seiner Kirche nicht mehr folgen und meinte etwa: „Der Mythos von der Jungfrauengeburt will uns sagen, dass wir alle aus dem Seinsgrund geboren sind, dem wir Christen den Namen Gott gegeben haben.“ Willigis Jäger wurde für viele, die von der katholischen Kirche enttäuscht waren, ein wichtiger Lehrer, zugleich war er vielen ein Dorn im Auge, ein gefährlicher Grenzgänger, der den Boden der katholischen Glaubenslehre längst verlassen habe.
2002 spitzte sich der Konflikt zu: Kardinal Joseph Ratzinger, damals Präfekt der Glaubenskongregation im Vatikan, hatte ihm ein Rede-, Publikations- und Auftrittsverbot auferlegt, weil er Glaubenswahrheiten den eigenen Erfahrungen unterordne. Anfangs folgte Jäger gehorsam, er zog sich zurück. Doch bald entschied er sich anders, „um der Menschen willen, die ich betreue“. Willigis Jäger konnte nicht mehr als Priester wirken, Mitglied des Ordens blieb er, aber außerhalb der Klostergemeinschaft. Mit Hilfe von Weggefährten gründete er 2003 das spirituelle Zentrum „Benediktushof“ in Holzkirchen. In den alten Gemäuern eines aufgelassenen Benediktinerklosters und in den Neubauten werden seitdem vor allem christliche Kontemplation und Zen-Meditation angeboten, mit enormem Zulauf.
Für Jäger war Religion wichtig, aber letztlich sei sie mit ihren Traditionen nur ein Fingerzeig auf das Wesentliche. Es ging ihm um die Erfahrung in der Meditation, egal ob christliche Betrachtung oder buddhistisches Sitzen, um das Hier und Jetzt in Stille. Entscheidend war für ihn nicht, welchen Weg Gläubige gehen, wesentlich war, einem Weg konsequent zu folgen. Denn: „Es gibt viele Wege zum Gipfel, nicht nur den einen.“ Bei all dem großen Interesse und auch der Huldigung seiner Anhänger blieb der Benediktiner stets nüchtern und pragmatisch. Obwohl er keine Kutte mehr trug, wirkte er stets wie ein Mönch und war einfach gekleidet. Wer ihn um Rat fragte, fand immer ein offenes Ohr und wurde mit seinem klaren Blick und prägnanten Aussagen immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen. Ein Guru wollte er nicht sein, verklärte Abgehobenheit war nicht seine Sache: „Ein mystischer Weg, der nicht in den Alltag führt, ist ein Irrweg.“
Willigis Jäger war auch immer wieder in Wien zu Besuch. Seinen Schüler Christoph Singer beauftragte er mit der Gründung einer Zen-Gruppe: 2007 wurde ein Zendo im 15. Bezirk eingerichtet. Mehrmals in der Woche kommen Menschen zusammen, um gemeinsam in Stille zu sitzen. Als Singer einen geeigneten Raum für den Zendo suchte, erfuhr er, dass vielen Buddhisten Willigis Jäger „zu katholisch“ sei und den Katholiken „zu buddhistisch“. „Viele haben nicht verstanden, dass es ihm um die große innere Freiheit ging, dass letztlich alle mystischen Wege in diese führen können und man nicht an bestimmten Formen kleben muss“, resümiert Christoph Singer. „Die Vielfalt an Menschen, die er durch diese Weite und Offenheit anzog, war und ist immer wieder faszinierend.“
Rückkehr in die Zeitlosigkeit
Je älter er wurde, desto mehr beschränkte er sich auf seine wesentlichen Aussagen, nämlich, dass alles absolut eins sei, dass das Leben nicht ende, sondern zurückkehre in eine Zeitlosigkeit, die wir Gottheit, Leere oder Brahman nennen können. Er sprach unermüdlich über die nötige Loslösung vom Ego, von der Unterscheidung zwischen authentischem Selbst und aufgeblähter Egozentrik, und er wusste, wovon er sprach: Auch er war von „Ich“ reich gesegnet. Jäger hat gerne provoziert, um Kritiker aus der Reserve zu locken. Dem Konflikt ist er dabei nicht ausgewichen. Die Zenmeisterin Gundula Meyer meint, sie sei nicht so beeindruckt von all seinen Büchern, Weisheitsworten und Kalendersprüchen, sondern von dieser „Unbedingtheit und Unbeirrbarkeit“. Willigis Jäger konnte dadurch dogmatisch wirken, doch er bestach auch mit Herzenswärme, Humor und spielerischer Leichtigkeit. Anselm Grün schrieb im Nachwort des gemeinsamen Buches „Das Geheimnis jenseits aller Wege“: „Wenn wir beide einmal durch die Pforte des Todes treten – jeder für sich allein – werden wir unsere so verschiedenen Worte und Begründungen als Schall und Rauch erkennen. [...] Und vielleicht werden wir dann gemeinsam lachen über das, was wir geschrieben haben. Denn es war nur ein Versuch, das Unaussprechliche für uns und für Menschen, die wir begleiteten, in verständliche Worte zu fassen.“
Willigis Jäger kann nun vielleicht schon lachen.