Peter, lass Dir Zeit
Peter Habeler und David Lama am Eiger
Profibergsteiger gelten als egoistisch. Das müssen sie auch oft sein um ihre großen Ziele erreichen zu können. Doch es gibt auch andere Geschichten im Profizirkus, etwa die Eiger-Nordwand-Besteigung von David Lama und Peter Habeler. Ein Beispiel von Solidarität zwischen den Generationen.
Text: Eva Maria Bachinger Foto: Archiv Peter Habeler Eiger Nordwand, Schweiz, 2018
Publiziert in Bergauf
„Geht’s Peter? Lass Dir Zeit!“, rät David Lama dem nachsteigenden Peter Habeler an einer Stelle im Dokumentarfilm über ihre Durchsteigung der Eiger Nordwand. Es geht nicht um Rekordzeit, sondern darum die 1.800-Meter-Wand zu schaffen und den Gipfel zu erreichen. Vor 43 Jahren hat Peter Habeler die Eiger Nordwand gemeinsam mit Reinhold Messner in damaliger Rekordzeit von zehn Stunden geschafft. Zum 75. Geburtstag hat er sich den Eiger nochmal gewünscht. Sein Seilpartner sollte David Lama sein. Er hat auch sofort zugesagt. „Es war mir eine Ehre“, so Lama beim Gespräch mit „Bergauf“ in Innsbruck.
Zwischen Habeler, Jahrgang 1942 und Lama, Jahrgang 1990 liegt ein Altersunterschied von fast 50 Jahren. Die Klettertour war sozusagen ein Rollentausch: Lama war bereits als Fünfjähriger im Kletterkurs von Peter Habeler im Zillertal. Habeler gilt als Entdecker des Ausnahmetalents und hat Lama gefördert. „Der Jüngere hilft dem Älteren, früher habe ich dem Jüngeren geholfen“ so Habeler. „Ich wurde von vielen Menschen auf diesen Aspekt angesprochen. Ich hätte auch mit einem anderen Bergsteiger klettern können, aber mit David war es aufgrund unserer gemeinsamen Geschichte etwas Besonderes.“
Es war klar, dass David beim Klettern in der Wand die Führerrolle und das Seilmanagement übernimmt, meint er. „Sicher, ich hätte auch vorangehen können, aber es hätte einfach länger gedauert.“ Um als 75-Jähriger diese legendäre 1.800 Meter-Wand durchsteigen zu können, hat sich Habeler ein Jahr lang vorbereitet. Er hat sehr viel trainiert, wie er sagt, vor allem bei Skitouren um Kraft in den Beinen zu haben und beim Klettern in Arco am Gardasee.
„Mit David hat es nie einen Moment der Verunsicherung gegeben, nur einmal bin ich ausgerutscht.“ Die Wetterverhältnisse waren optimal, wenn auch viel Schnee und Eis in der Wand war. Die beiden haben auch in der Wand biwakiert, „mit Schlafsack und ein paar Dosen Bier“. Am nächsten Tag ging es bis zum Gipfel. „Beim letzten Stück war ich schon recht müde. David hat Gas gegeben, denn es war nicht klar, ob das Wetter hält oder nicht.“ Lama betont, dass man als Team durch die Wand geklettert sei. „Peter ist fit wie ein Turnschuh, natürlich habe ich sein Alter gemerkt. Aber ich war auch gesundheitlich etwas angeschlagen.“ Lama ist nach dem Gipfelerfolg mit den Skiern, die der Hubschrauber gebracht hatte, auf der westlichen Seite abgefahren. „Das habe ich nicht gemacht, denn wenn ich die Nordwand raufklettere und ich stürze dann die Westwand hinunter, da lachen ja die Kühe“, lacht auch Peter Habeler. „Es war toll, einfach toll“, freut er sich über dieses gelungene Geburtstagsgeschenk.
Habeler wurde beim International Mountain Summit vergangenen Herbst in Brixen für seine Leistung hochgelobt und dafür bewundert, dass er so eine Tour in seinem Alter noch macht, während andere auf der Couch sitzen würden. Habeler findet es zwar nicht selbstverständlich, aber aufgrund seiner lebenslangen Leidenschaft Bergsteigen normal, dass er noch so aktiv ist: „Mir geht es eigentlich nicht darum zu zeigen was in diesem Alter noch möglich ist. Denn es ist auch eine große Glücksache, wenn man sich noch so bewegen kann wie ich. Sicher, ich tue sehr viel, aber es ist auch Glück. Man kann ja krank werden oder eine Verletzung haben, dann ist es aus mit dem Spaß. Ich bin in das Bergsteigen einfach immer noch verliebt. Deshalb mache ich es. Ich bin auch noch immer ehrgeizig. Warum soll ich es also nicht weiterhin machen, so lange es eben noch geht? Es kann morgen vorbei sein.“ Seine Botschaft ist nur, dass jeder das machen soll was noch möglich ist. „Es muss ja nicht der Eiger sein. Wenn ich heute jemanden, der 73 oder 65 Jahre ist mit meiner Aktion die Idee mitgegeben habe, dass er morgen auf die Plose gehen könnte, ist das wunderbar“, meint er nach seinem Vortrag in Brixen.
David Lama hat er jedenfalls als Kind offenbar auch Wichtiges mitgegeben, denn Lama ist davon überzeugt, dass sein Wechsel vom Wettkampf-Klettern in die freie Natur und die Liebe zum Bergsteigen auch durch das frühe Fels-Klettern mit Habeler begründet sind. Der Profi-Bergsteiger Habeler, der als Berühmtheit auch anderes hätte tun können, führte nicht nur eigene Expeditionen durch, sondern gab und gibt als Bergführer auch regelmäßig Kurse für Kinder, auch für Kinder, die es schwerer haben, wie etwa 2016 für Patienten der Kinder- und Jugendpsychiatrie Innsbruck. „Er hat mir das Abenteuer Berg nähergebracht. Um eine Leidenschaft zu entwickeln, muss man es erst einmal kennenlernen, es muss mir jemand zeigen und näherbringen. Peter kann Menschen begeistern, und er macht das gerne. Es ist eine sehr nachhaltige Art Menschen zu beeinflussen, wenn man mit ihnen bereits im Kindesalter bergsteigen geht. Sie haben dann einen anderen Bezug zur Bergwelt.“ Der Kontakt zwischen Habeler und Lama hielt über die Jahre. 1999 sind sie gemeinsam über den Normalweg auf den Großglockner geklettert. „Wir haben uns immer füreinander interessiert, beobachtet, was der Andere so macht“, erzählt Lama.
Lama findet, dass es generell wichtig sei sich immer wieder Ziele zu stecken, egal in welchem Alter. Es sei zudem nicht so, dass er die Eiger-Tour nur für Peter gemacht habe. „Es ist auch für mich toll mit ihm gemeinsam eine Tour zu machen. Peter strahlt so eine Freude beim Bergsteigen aus, die nicht jeder meiner gleichaltrigen Bekannten hat. Es ist absolut ein Erlebnis mit ihm unterwegs zu sein, es ist schön seine Freude mitzuerleben.“ Natürlich sei es für ihn auch interessant, wenn Habeler von früheren Touren erzählt, aber da müsse man schon genauer nachfragen, denn Habeler sei keinesfalls aufdringlich, sondern im Gegenteil eher zurückhaltend. „Er genießt lieber den Sonnenuntergang, die Gegenwart. Ich würde mir jedenfalls wünschen, dass ich mit 75 auch noch diese Begeisterung fürs Bergsteigen habe. Es geht irgendwann nicht mehr darum die absoluten Höchstleistungen zu machen, sondern um die Leidenschaft und sie aufrecht zu erhalten. Das zeichnet Peter wirklich aus.“ Der Ältere schaffte die Wand mit dem Jüngeren, aber der Jüngere lernt auch vom Älteren.