Kommentar zum ZEIT-Artikel „Bauchentscheidung“ (Elisa Hoven)

Text: Eva Maria Bachinger

(Ein Kommentar für Die Zeit, der im Juli 2022 dann doch nicht veröffentlicht wurde)

 Die Sätze kommen so harmlos daher: „Es geht um den tiefen Wunsch nach einem eigenen Kind“ oder „Leihmütter sehen ihren Einsatz als Geschenk an Menschen, die ohne sie keine Familie gründen könnten.“ Alle sind so glücklich, die Eltern, die Leihmütter und erst recht die Kinder. Mit welchem Recht trübt man die Idylle dieser schönen, neuen Welt, die die Strafrechtlerin Elisa Hoven in ihrem Kommentar „Bauch-Entscheidung“ zeichnet, in dem sie sich für die Freigabe der Leihmutterschaft in Deutschland ausspricht?

 Für mich ist es eine ethische Verpflichtung bei diesem Thema nicht nur die Rechte von Erwachsenen – der Wunscheltern, der Leihmütter – zu sehen, sondern in erster Linie die Rechte der Kinder. Just bei einem Thema, wo es ums Kinderkriegen geht, blenden Befürworter diese Rechte weitgehend aus. Ich erhebe entschieden Einspruch gegen eine Aufhebung des Verbots aus feministischer, kinderrechtlicher und kapitalismuskritischer Sicht. Der Vorgang der Leihmutterschaft widerspricht der Kinderrechtskonvention, die von fast allen Staaten der Erde anerkannt ist. Im Artikel 35 ist festgehalten, dass ein Kind das Recht hat, nicht gegen Geld gehandelt zu werden, und zwar egal zu welchem Zweck. Also auch nicht für den guten Zweck, zur Zeugung eines „eigenen“ Kindes oder für eine Adoption. Wir haben uns darauf geeinigt, dass der Mensch eine Würde hat und keinen Preis. Deshalb ist Menschenhandel verboten, deshalb wurde die Sklaverei abgeschafft. Und ja, für die Missachtung sollte man gestraft werden und auch ins Gefängnis wandern. 

Doch im Zusammenhang mit dem sehnsüchtigen Wunsch nach dem „eigenen“ Kind werden bedenkliche Vorgänge verklärt, romantisiert und bagatellisiert. Aber der Kaiser ist eindeutig nackt: Bei einer Leihmutterschaft wird eben nicht nur für die „Dienstleistung“ Schwangerschaft bezahlt, sondern letztlich für das „Produkt“ dieser Dienstleistung, für das Kind, und das muss natürlich gesund sein. Die Leihmutter bekommt erst dann den Großteil des vereinbarten Honorars, wenn sie das Kind aushändigt. „Kind gegen Geld“ – so ist der Vorgang, und ich weiß nicht, wie man das anders nennen kann als Handel bzw. Verkauf. Sicher, es steht jedem frei, es als Geschenk zu bezeichnen. Vielleicht ist in dieser Lesart dann Menschenhandel insgesamt ein wunderbarer Austausch von Geschenken. Und seltsam auch, dass Geschenke nun auch schon etwas kosten. 

Es geht hier auch nicht um ein noch nicht gezeugtes bzw. ungeborenes Kind, das durch einen Leihmutterschaftsvertrag zwar zu einem Vertragsgegenstand degradiert wird, aber froh sein kann, überhaupt auf die Welt zu kommen. Also sei hier seine Würde nicht verletzt, argumentiert Hoven. Fakt ist, dass ein neugeborenes Kind, für das die Kinderrechtskonvention gilt, gegen Geld ausgehändigt wird. Keine Würdeverletzung, obwohl das Kind einen Preis hat? 

Es ist aufgrund des realen Machtgefälles, der enormen sozialen, globalen Ungleichheit ziemlich naiv zu meinen, dass es keine unschönen Bilder wie jene der Leihmütter und der nicht abgeholten Kindern in der Ukraine mehr geben werde, wenn Deutschland nur endlich die Leihmutterschaft freigebe. Das ist Wunschdenken: Es wird leider nicht genügend liebe Freundinnen und gute Schwestern geben, die für Andere ein Kind austragen. Paare werden deshalb weiterhin ins Ausland ausweichen, denn entscheidend ist nicht nur das Angebot, sondern natürlich auch der Preis. Auch Staatsbürger aus Ländern, wo es schon viele Jahre diesbezüglich liberale Gesetze gibt wie in den USA oder Israel, finden sich zahlreich in Kliniken in ärmeren Ländern ein. It’s capitalism, stupid. 

Natürlich soll in Deutschland keine Geschäftemacherei daraus werden, natürlich sollen keine hohen Honorare bezahlt werden, beeilen sich Befürworter zu versichern. Aber hohe sogenannte Aufwandsentschädigungen soll es auch bei der ach so altruistischen Leihmutterschaft geben. Ich frage mich, was ist das für ein selbstloses Verhalten, wenn ich für meine Schwester ein Kind austrage und dann auch noch Geld von ihr will? Seit wann ist ehrenamtliches Engagement mit Geldbeträgen, die an kommerzielle Angebote heranreichen, zu honorieren? 

In welcher Welt lebt Fr. Hoven eigentlich? Ich jedenfalls lebe in einer kapitalistischen Welt, in der alle Lebensbereiche kommerzialisiert sind und wo ethische Grenzen als lästig für die absolute individuelle Freiheit und für das Geschäft angesehen werden. Zu schreiben, dass diese Feststellung plakativ sei, zeugt von einer erstaunlichen Ignoranz oder Unkenntnis von prekären Lebensverhältnissen der meisten Menschen auf diesem Planeten, davon, was es heißt, in sozialer Not zu sein. Ich bevorzuge den realen Blick: Die allermeisten Leihmütter sind keine privilegierten Frauen wie Fr. Hoven, deren einziges Motiv vielleicht ist, armen, kinderlosen Paaren helfen zu wollen. Sondern es sind Frauen, die wenige andere Verdienstmöglichkeiten haben. 

Eine Frau muss selbst bestimmen was sie mit ihrem Körper macht, sie dürfe nicht daran gehindert werden, ihn zu vermieten, zu verkaufen, was auch immer? Ja natürlich, allerdings wage ich anzuzweifeln wie selbstbestimmt man ist, wenn man nicht weiß, wie man seine Existenz finanzieren kann und jemand mit einem Bündel Geld winkt, wenn man nur bereit ist, sich hormonell stimulieren zu lassen, die mühsamen Vorgänge einer künstlichen Befruchtung über sich ergehen zu lassen, eventuell mehrere Versuche, die Belastungen und Risiken einer Schwangerschaft auf sich zu nehmen, einen Kaiserschnitt als Standard-Geburtsvorgang und die Weggabe eines Kindes, das man neun Monate in sich getragen hat, zu erdulden. Und mit der großen Selbstbestimmung einer Leihmutter ist es vorbei, wenn sie Verträge unterschreibt, in denen festgelegt wird, dass nicht mehr nur sie über den Verlauf einer Schwangerschaft bestimmt, sondern die Wunscheltern und die Ärzte. Sogar die wichtigste Errungenschaft der Frauenbewegung, dass eine Frau selbst entscheiden kann, ob sie eine Schwangerschaft weiterführt oder nicht, ist aufgehoben. Wer glaubt denn im Ernst, dass ein Wunschelternpaar zustimmt, wenn die Leihmutter sagt, ich will nicht mehr und sich für einen Abbruch entscheidet oder wenn sie meint, das Kind doch zu wollen, auch wenn es behindert ist? 

Alles angeblich kein Problem! Auch all die Erkenntnisse der Bindungsforschung, pränatalen Forschung, wie sehr eine Schwangerschaft ein Kind prägt, alles vernachlässigbar. Man habe ein Recht auf ein eigenes Kind, heißt es. Nein, hat man nicht. Es gibt kein Recht auf einen anderen Menschen. Was bisher ein Abwehrrecht war – nämlich das Recht auf Familienleben – wird zu einem Anspruchsrecht umgedeutet. Der Staat habe die Pflicht allen Bürgern auch mit sämtlichen Methoden der Reproduktionsmedizin „eigene“ Kinder zu ermöglichen. Sollen nun bald Leihmutterschaftsagenturen und Samenbanken vom Staat betrieben werden, damit nur ja jeder Bürger genetisch „eigene“ Kinder hat? Es ist nicht redlich, die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in einem Urteil gegen Italien umzudeuten. Da wurde festhalten, dass es ein Recht auf Achtung des Familienlebens gibt, aber kein Recht darauf, Eltern zu werden, so verständlich ein Kinderwunsch an sich auch sei. Kinder, die von einer Leihmutter geboren werden, gehören auch nicht automatisch zur Familie der Bestelleltern. 

Abgesehen davon, dass es gerade bei künstlicher Befruchtung nicht immer genetisch „eigene“ Kinder sind – dank Samen- bzw. Eizellenspenden – abgesehen davon, dass auch eine neunmonatige Schwangerschaft durch eine Leihmutter ein Kind epigenetisch prägt, spricht daraus auch ein fragwürdiges Besitzdenken gegenüber Kindern. Und eine äußerst reaktionäre Sicht auf Menschen ohne „eigene“ Kinder. So als ob sie ein defizitäres, sinnloses Leben führen würden. 

Die Kinderrechtskonvention ist eine zivilisatorische Errungenschaft, weil man Kindern Rechte zugebilligt hat, auch im Widerspruch zu Rechten von Erwachsenen. Da Kinder hier die Schwächeren sind und Menschenrechte grundsätzlich dafür geschaffen wurden, Schwächere zu schützen, schreibt die Konvention vor, Kinderrechten vorrangig Geltung zu verschaffen. Der Gesetzgeber ist aufgerufen diese Rechte zu verteidigen. Insofern müsste man sich für ein globales Verbot der Leihmutterschaft einsetzen und nicht für die Freigabe in immer mehr Staaten. 

 
Previous
Previous

Grenzen der Leihmutterschaft

Next
Next

Leihmutterschaft: Kinderhandel für den guten Zweck?