Grenzen der Leihmutterschaft
Text: Eva Maria Bachinger
Kommentar in der Österreichischen Hebammenzeitung, August 2022
Ein Paar beklagt sich in einer TV-Doku über Leihmutterschaft darüber, dass sie für ihr „Projekt Baby“ keinen Kredit bei der Bank erhalten hätten. Ein anderes betont, ein Leihmutterschafts-Deal sei doch eine “win-win-Situation“ für Wunscheltern und Leihmütter. Die Leihmutter hätte nun mehr Geld zur Verfügung und das Paar endlich ein Kind.
Der Diskurs um den sehnsüchtigen Wunsch nach einem „eigenen“ Kind ist geprägt von einem ökonomischgeschäftsmäßigem Denkstil. Die wirtschaftliche Sprache ist verräterisch, denn sie zeigt, dass ein Kind zu einem Projekt degradiert wird, das man umsetzen kann. Mehr noch: Es wird zu einem Produkt, zu einer Ware der vertraglich fixierten „Dienstleistung“ Schwangerschaft.
Genau hier ist aber eindeutig eine Grenze erreicht: Bei einer Leihmutterschaft wird die Frau nicht nur für die „Dienstleistung“ Schwangerschaft bezahlt, sondern sie erhält erst dann den Großteil des vereinbarten Honorars, wenn sie das Kind aushändigt. Und es muss natürlich ein gesundes Kind sein. Dieser Vorgang widerspricht der Kinderrechtskonvention, die von allen Staaten der Erde (mit Ausnahme der USA) anerkannt ist. Darin wird in Artikel 35 festgehalten, dass der „Verkauf und Handel von Kindern zu irgendeinem Zweck und in irgendeiner Form“ verhindert werden muss (1). Das gilt auch für den guten Zweck, für die Zeugung eines „eigenen“ Kindes oder für eine Adoption. Wir haben uns darauf geeinigt, dass der Mensch Würde hat und keinen Preis. Deshalb ist Menschenhandel verboten, deshalb wurde die Sklaverei abgescha!t.
Kinderrechte
Auch in einem weiteren Punkt wird die Kinderrechtskonvention verletzt: In Artikel 7 ist festgelegt, dass ein Kind das Recht hat – soweit möglich – seine Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werden (2). In Österreich war man bei der Novelle des Fortpflanzungsmedizingesetzes 2015 eifrig darum bemüht, die Freiheitsrechte von Erwachsenen umzusetzen, doch Kinderrechte müssen weiter warten: Nach wie vor ist das Versprechen nicht umgesetzt, ein staatliches Datenregister für Samen- und Eizellenspenden einzurichten. Zu erfahren, wer die eigene Leihmutter ist, ist angesichts fehlender internationaler Register ungleich schwieriger. Falls die Eltern o!en und transparent mit der Entstehungsart umgehen, stammen die Leihmütter meist aus ärmeren Ländern. Es besteht also nicht selten ein enormes soziales Gefälle und eine Sprachbarriere.
Ein globales Geschäft
Es geht in dieser Frage um mehr als um Freiheitsrechte und Hilfe für betroffene Paare. Leihmutterschaft ist mittlerweile auch ein florierendes, globales Geschäft mit Millioneneinkünften. Die Reproduktionsmedizin ist nicht nur Sache von verantwortungsbewussten und human handelnden Ärzt*innen, sondern weist alle Merkmale eines wachsenden Marktes auf. Neue Zielgruppen werden erschlossen, der Gebrauch von Leihmüttern wird „sexy“, neue Methoden erweitern nicht nur die Möglichkeiten für den Einzelnen, sondern erhöhen auch den Pro#t für Kliniken und Agenturen. Der Siegeszug dieser Technologie ist begleitet von liberalen Gesetzen und von dem allgegenwärtigen Machbarkeitsund Konsumdenken.
Das eigene Kind
Viel ist die Rede vom Wunsch nach dem „eigenen Kind“, der für viele Betro!ene nur mit Hilfe einer Leihmutter realisierbar sei. Meist wird nicht bedacht, wie sehr die Leihmutter das Kind epigenetisch während der Schwangerschaft prägt. Es zählt nur die genetische Verwandtschaft mit den Wunscheltern. (Dabei ist das Bild vom „eigenen“ Kind oft auch insofern falsch, da ja bei der künstlichen Befruchtung mitunter auf Eizellenspenderinnen bzw. Samenspender zurückgegri!en wird.) Ein Kind als „Eigentum“ zu betrachten und nicht als ein Menschenwesen, für das man eine Zeit lang die Verantwortung übernimmt, ist außerdem eine längst überholte Anschauung. Auch die Erkenntnisse der Bindungsforschung und der pränatalen Forschung – sie sind bei diesem Thema plötzlich vernachlässigbar. Natürlich sind vor allem die Fürsorge und Liebe der Bezugspersonen entscheidend für das Lebensglück eines Kindes. Doch die Art der Entstehung und der Verlauf einer Schwangerschaft sind auch nicht unwesentlich.
Der Sinn von Grenzen
Um Grenzen überhaupt ziehen zu können, braucht es ein Bewusstsein von Grenzen an sich, von ihrer Sinnhaftigkeit. (3) Der Glaube, alles sei möglich, ist inspirierend und ermutigend. Er ermöglicht es uns, hochgesteckte Ziele zu erreichen und Grenzen zu verschieben. Grenzen sind aber auch Orte der Erkenntnis und bergen eine Chance für Wandel und Neuorientierung. Hier sammeln wir Erfahrungen, die uns helfen, unverrückbare Grenzen wie den Tod besser zu akzeptieren. Menschen zeichnet aus, wie sie mit Beschränkungen umgehen, mit einer Freiheit, die nicht grenzenlos ist, sondern einen Rahmen hat. Wenn eine Gesellschaft Grenzen festlegt, dann vor allem deshalb, um ein gutes Zusammenleben zu gewährleisten. Orientieren wir uns nur an Wünschen, sind wir nie zufrieden, denn unsere eigenen Wünsche sind letztlich grenzenlos. Hier sind wir utilitaristisch. Wir haben eine Putzfrau, die wir schwarz bezahlen; wir gehen auf Schnäppchenjagd und denken nicht mehr an den Hungerlohn der Näherin; der Billigflug ist auch schnell gebucht – und so engagieren Menschen eben auch eine Eizellspenderin oder eine Leihmutter. Als Bürger*innen sprechen wir uns gegen Ausbeutung aus, als Konsumenten vergessen wir unsere Prinzipien. „Wir haben einen Kinderwunsch. Da ist uns das Drumherum nicht ganz egal, aber ziemlich egal“, sagt ein Mann, der mit seiner Frau mehrmalige Fehlversuche hinter sich hat, es viermal mit Eizellspenden in Spanien versucht hat und nun nach Tschechien reist, weil es billiger ist (4). Die Ökonomen Armin Falk und Nora Szech haben sich die Frage gestellt, warum Menschen ihre eigenen moralischen Werte manchmal mit Füßen treten. Ihre Erklärung: Der Markt verführt uns zu unmoralischem Handeln, weil er Abstand scha!t zwischen uns und den Folgen unserer Entscheidungen (5).
In einer Welt, in der alles möglich sein soll, in der es alles zu kaufen geben soll, sind Standpunkte und einschränkende ethische Prinzipien lästig. Fortschritt soll von Ethik und Tradition entkoppelt werden. Je schneller die Traditionen neutralisiert werden, desto schneller der Fortschritt, schreibt der Philosoph Odo Marquard (6). Deshalb hängen viele Fortschrittsgläubige einer Ethik an, die den Eigennutz als oberstes Prinzip erklärt: Ich kaufe mir, was ich will und was ich mir leisten kann. Ganz nach dem Slogan einer Handelskette: „Get what you want“. Wir haben das verinnerlicht und auf sämtliche Lebensbereiche ausgeweitet. Da gehört o!enbar dazu, sich im „Menschensupermarkt“ unter der Flagge der „Liberalität“ ein Kind zu „kaufen“, eine Leihmutter zu „mieten“ und dann auch gleich das „bessere Angebot“ an Eizellen und Samen auszuwählen.
Begrenzte Freiheit
Wer Grenzen befürwortet, kommt schnell in den Geruch, Menschen dumm und fremdbestimmt halten zu wollen. Doch alles freizugeben und alles dem Markt und der Selbstregulierung der Technologie zu überantworten, führt bekanntermaßen auch nicht zu guten Ergebnissen. Notwendig ist ein Abwägen zwischen Freiheit und Einschränkung. Die errungene Freiheit muss mit einem Bewusstsein für Verantwortung und mit der Einsicht, dass Grenzen wichtig sind, verbunden werden.
Im Aufstieg der Reproduktionsmedizin lediglich den Kampf um Grundrechte wie Freiheit und Gleichheit zu sehen, ist blauäugig. Dieser Kampf sollte sich klar von überschie.enden ökonomischen Interessen abgrenzen – doch das passiert in dem Bereich unzureichend. Die hehren Ideale der Liberalen werden missbraucht für eine große Entgrenzung. Der große Buhmann ist der Staat: Er pfusche dem Markt und dem Einzelnen unnötig drein und solle sich zurückziehen. Es scheint bei dem Thema einen breiten Konsens zu geben, die Gesetze zu liberalisieren und nicht etwa einzuschränken. Doch auch der Liberalismus braucht Begrenzungen, sonst mündet er in zügellose, rücksichtlose Freiheit. „So befreiend die bürgerlichen Freiheiten sind, so beklemmend ist die Idee der freien Verbraucherwahl und die Ideologie des Selfmademan, jeder kann alles, jeder muss alles können, jeder kann alles haben, jeder muss alles haben. Sonst hat man sein kümmerliches, kurzes Dasein auf Mutter Erde nicht zu 100 Prozent ausgenutzt“, schreibt die Philosophin Renata Salecl (7).
Ethik als Mahnung
„Die Menschen sind so, wie sie sind, das müsse man eben akzeptieren“, das habe ich im Zuge meiner Recherchen über Reproduktionsmedizin öfters gehört (8). Offenbar müssen alle Möglichkeiten und Unmöglichkeiten ausgetestet werden, scheinbar müssen wir mit dem Kopf durch die Wand. Bei allem Realismus: Ethische und moralische Grenzen sind eine Mahnung, zu versuchen, edler zu sein, als wir im Grunde sind.
Literatur:
1. https://www.kinderrechtskonvention.info/kindesentfuehrung-3668/ Zugri! am 23.7.2022
2. https://www.kinderrechtskonvention.info/recht-auf-eltern-3469/ Zugri! am 23.7.2022
3. Liessmann K P. Lob der Grenze. Kritik der politischen Entscheidungskraft. Wien: Paul Zsolnay Verlag; 2012
4. Interview bei der Recherche. Für: Bachinger E M. Kind auf Bestellung. Plädoyer für klare Grenzen. Wien: Deuticke; 2015
5. Falk A, Szech N. Morals and markets. Science. 2013 May 10;340(6133):707-11. doi: 10.1126/science.1231566. PMID: 23661753. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/23661753/
6. Marquard O. Zukunft braucht Herkunft. Philosophische Essays. Stuttgart: Reclam; 2003
7. Salecl R. Die Tyrannei der Freiheit. Warum es eine Zumutung ist, sich anhaltend entscheiden zu müssen. München: Karl Blessing Verlag; 2014
8. Bachinger E M. Kind auf Bestellung, Plädoyer für klare Grenzen. Wien: Deuticke; 2015