„So sind Flüsse nie gewesen“

Ulrich Eichelmann im Interview

Eva Maria Bachinger, Foto: SN/ANDREAS PESSENLEHNER

Publiziert in Salzburger Nachrichten, 2012

 

 Im Wiener Burggarten plätschert das Wasser: da ein Brunnen, dort ein Teich. Ulrich Eichelmanns Blick ist geschärft, er sieht sofort den Müll im Wasser. Alu- Dosen schwimmen am Uferrand und trüben das idyllische Bild mit Enten und Spaziergängern. Eichelmann setzt sich seit 30 Jahren leidenschaftlich für den Schutz des Wassers ein, besonders für Flüsse.


SN: Woher kommt diese Leidenschaft?

Eichelmann: Wahrscheinlich aus der Kindheit. Ich bin in Westfalen an einem Bach aufgewachsen. Mein Vater hat dort noch schwimmen gelernt und Fische gefangen. Mich haben Flüsse mein ganzes Leben lang fasziniert. Da fühle ich mich wohl, und ich habe das Gefühl, da kann mir auch nichts passieren. Doch Flüssen wird viel Platz weggenommen, durch Straßenbau, Siedlungsbau und eben Staudämme. Die Leute wissen gar nicht mehr, wie ein Fluss aussieht. Wenn Kinder einen Fluss zeichnen, zeichnen sie eine mehr oder weniger gewundene Linie, am Rand ein paar Bäume. So sind Flüsse nie gewesen. Wir haben kanalisierte Flüsse. Da gibt es Vögel und Fische, aber es ist kein Vergleich zu dem, was einmal war. Ursprüngliche Flüsse reißen bei Hochwasser Ufer weg, da fallen Bäume ins Wasser, es gibt tiefe Stellen, wo große Forellen stehen, Schotterbänke, Inseln, verschlammte Flächen, Nebenarme, Buchten. Das ist Fluss. Und Fluss und Au, das gehört zusammen, doch das ist bei uns weitgehend entkoppelt.


SN: Gibt es in Österreich keine natürlichen Flüsse mehr?

Eichelmann: „Natürlich“ gibt es fast nicht mehr, nur noch bei Oberläufen, die aus dem Gletscher kommen. Die Isar, Lech, die Pielach, die Mur in Salzburg haben naturnahe Bereiche. Die Vogel- und Fischarten, die auf Flüsse angewiesen sind, finden dort Zuflucht. Die Donauauen bei Hainburg sind ein naturnaher, wertvoller Abschnitt, aber keine natürliche Au. Das sind 40 Kilometer Oase in einer ansonsten völlig degradierten Donau. Die Donau hat auf den ersten tausend Kilometern vom Schwarzwald bis Bratislava 58 Staudämme und die Zuflüsse sind auch voller Staudämme.


SN: Aber wir können ja nicht mehr zurück zum Zustand vor Jahrzehnten.

Eichelmann: Ja, aber man kann an Teilstrecken Regulierungen abreißen, und es sollte kein einziges Wasserkraftwerk mehr gebaut werden. Schützen und verbessern, das hilft allen, der Natur und den Menschen.


SN: Was ist so schlimm an der Stauung und Regulierung?

Eichelmann: Die Donau war mit den Nebenarmen bei Wien fünf Kilometer breit, nun ist sie reguliert auf 280 Meter. Man verengt einen breiten, flachen und vielfältigen Lebensraum aufs Ärgste. Hat der Fluss mehr Platz bei Hochwasser, bleibt er flacher und fließt langsamer. Die Regulierung schnürt zusammen: Die Welle wird höher, dadurch wird das Gefälle steiler und es fließt schneller. Ich produziere also eine Verschärfung der Hochwassergefahr. Es werden dann immer höhere Dämme gebaut, das engt den Fluss noch mehr ein und für jene, die weiter flussabwärts leben, wird die Gefahr größer. Mehr Wasser kommt mit einer größerenWucht. Ich dachte, dass das längst in den Köpfen der Politiker ist. Es ist frustrierend: Der Protest gegen Hainburg war 1984. Ich habe an hunderten Veranstaltungen teilgenommen und erklärt, wie wenig sinnvoll ein Staudammbau ist. Und nun 2012 führen wir noch ganz genau dieselben Diskussionen mit denselben Argumenten. Die „grüne“ Klimapolitik dient als perfekter Deckmantel. Die Leute gewöhnen sich daran und am Ende paddeln sie im Stausee und sind auch happy. Das ist meine Lehre aus den letzten Jahren: Nachhaltigkeit gibt es nur dann, wenn man die letzten naturnahen Gebiete unter juristischen Schutz stellt. Sonst gibt es zu viele Begehrlichkeiten, da ist jedes Mittel recht. Früher haben sie gesagt: Versorgungssicherheit. Nun sagen sie: Klimaschutz. Das ist ein Missbrauch. Viele glauben, Wasserkraft ist grün, also ist es gut. Andere sagen, naja, besser als Atomkraft.


SN: Aber ist es nicht auch so?

Eichelmann: Das war und ist nie so: Sie hätten Zwentendorf und Hainburg gebaut. Aber sollte es so sein, würde ich immer noch sagen, nicht alles was besser ist als das Schlimmste, ist gut. Wasserkraftwerke gehören zu der schlimmsten Energiegewinnung, weil sie einen Fluss unterbrechen und auch flussabwärts gravierende Folgen haben. Der Tigris hat im Frühjahr Hochwasser, bis in den Irak, wo er auf den Euphrat trifft und ein Gebiet so groß wie Niederösterreich überschwemmt. Der Staudamm Ilisu in der Türkei soll dieses Hochwasser zurückhalten und speichern. Jetzt hängen aber sechs Millionen Menschen am Tigris, die vom Fischfang leben und ihn für die Bewässerung brauchen. Ein Staudamm kann also auch tausend Kilometer strahlen, nicht in die Breite, aber linear. In der Türkei sind rund 1700 Staudammprojekt geplant. Oder: im Iran gibt es den Urmiasee. Der Wasserspiegel ist durch die Stauung der Flüsse gesunken, rund um diesen Salzsee bilden sich Salzkrusten. Bei Sturm wird das Salz in die Landschaft geblasen. Acht Millionen Menschen leiden darunter, weil ihre Landwirtschaft versalzt.


SN: Das hört sich alarmierend an. Aber wie soll man Klima schützen, wenn nicht auch mitWasserkraft?

Eichelmann: Ich bin nicht gegen Klimaschutz per se. Es gibt nur viele Fehlentwicklungen. Vieles wird als Klimaschutz verkauft und beschleunigt in Wahrheit die Zerstörung der Natur. Das klingt deprimierend, aber es ist der erste Schritt, um zu Lösungen zu kommen. Wir leben in einer globalisierten Welt und verengen unsere Sichtweise auf unseren Garten. Was wir tun, hat Auswirkungen. Wenn man ein Auto kauft, ist der Bauxit für die Aluminiumerzeugung wahrscheinlich aus Brasilien, Staudämme liefern den Strom für die Produktion, und am Ende fahren wir mit Biosprit und sagen: Super! Es ist wichtig, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, vor allem auch für die Zivilgesellschaft. Das Problem ist das Prinzip Wachstum. Dafür rauben wir die Natur unglaublich aus. Wenn sieben Milliarden unseren Lebensstandard haben sollen, dann gute Nacht. Wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir unseren Lebensstandard reduzieren, diese ewigen Reisen, die aufwändige Telekommunikation. Wir drehen uns immer schneller, ohne glücklicher zu werden, und ruinieren immer schneller die Natur.


SN: Ist der Verzicht auf Gewohnheiten überhaupt möglich?

Eichelmann: Ich weiß es nicht. Aber wenn wir in Österreich alle Flüsse verbauten, würden wir nur den Stromverbrauchszuwachs für die nächsten fünf Jahre abdecken. Ich empfinde mich als Weltenbürger und sehe es als mein Recht, beim brasilianischen Energieminister die Erhaltung des Amazonas einzufordern. Der Finanzmarkt ist globalisiert, der Staudamm Belo Monte wird von internationalen Konzernen gebaut. Doch der Naturschutz ist provinzialisiert. Die UNO muss einen weltweiten Masterplan für die Natur machen. Wenn man riesige Gebiete wie Amazonien oder Alaska nicht schützt, werden wir viele Arten nur noch im Zoo sehen.


„Climate Crimes“ heißt der Dokumentarfilm des Umweltaktivisten Ulrich Eichelmann, der demnächst im ORF zu sehen ist. Der Naturschützer vermisst den Widerstand gegen ökologisch bedenkliche Wasserkraftprojekte unter dem Deckmantel „Klimaschutz“, die vor 20 Jahren noch undenkbar gewesen wären.

Eva Maria Bachinger

SN: Am Balkan gibt es noch natürliche Flüsse. Sind Sie auch bedroht?

Eichelmann: Ja, derzeit sind, wenn man nur die größere Projekte rechnet, 587 Staudämme von der Wasserkraftlobby zusammen mit der Bauwirtschaft und Banken geplant. Sie sind komplett rücksichtlos und planen auch Projekte in Nationalparks wie im Mavrovo in Mazedonien. Wir haben einen Vorschlag: Wir schauen uns das an, welche Flüsse tabu sind und an welchen man bauen kann. Aber das wird bis jetzt nicht akzeptiert, deshalb hoffen wir stark auf die EU, denn diese Länder wollen in die Europäische Union. SN: Wollen wir von den Flüssen vor allem Energie? Eichelmann: Sieht so aus. Natur war lange ein Wert für sich. Der Seeadler hat ein Recht auf Existenz, der Biber, der Frauenschuh. Das hat sich geändert. Natur ist nur als Dienstleister wertvoll für Menschen. Unsere Sichtweise ist sehr anthropozentrisch. Wenn man heute sagt, man ist Naturschützer, ist es nicht gut. Umweltschützer ist besser.


 
 
 

ULRICH EICHELMANN

Ulrich Eichelmann ist Ökologe und engagiert sich seit mehr als 20 Jahren für den Naturschutz. Von 1990 bis 2007 war er beim WWF Österreich und koordinierte mehrere Kampagnen gegen Staudammbauten und Naturzerstörung. Seit einigen Jahren leitet er die „Stop Ilisu Kampagne“ und die NGO „ECAWatch Österreich“. Der Dokumentarfilm „Climate Crimes – Umweltverbrechen und Vertreibung im Namen des Klimaschutzes“ ist demnächst im ORF zu sehen.

 
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