„Ich bin Chopin, du bist Liszt“
Wenn sie von Musik voller Begeisterung und Liebe sprechen, leuchten ihre Augen: Ferhan und Ferzan Önder leben für die Musik. Sie reisen als vielfach ausgezeichnetes Klavierduo von Konzert zu Konzert, in Asien, Amerika, Europa. Sie arbeiten mit renommierten Orchestern und Künstlern zusammen, 2002 standen sie mit Peter Ustinov auf der Bühne. Sie spielten bei den Salzburger Festspielen und den Wiener Festwoche.
Im Zentrum der geräumigen Altbauwohnung stehen zwei schwarz-glänzende Steinway-Flügel. Fröhlich, strahlend, in Jeans und zum Verwechseln ähnlich räumen die Musikerinnen mit Klischees auf: Sie sind Zwillinge, aber grundverschieden. Sie sind moderne, selbstbewusste Frauen, ursprünglich aus Anatolien. Und sie haben nicht nur Musik im Kopf. Zu Besuch bei Ferhan und Ferzan Önder.
Eva Maria Bachinger, Foto: Andreas Pessenlechner, Publiziert in Salzburger Nachrichten, Wien 2012
Was machen Sie, wenn bei einem Konzert ein Fehler passiert?
Ferhan: Für die Musik riskieren wir viel und da passieren auch Fehler. Da ist Spontaneität wichtig und so machen wir einfach kreativ weiter.
Ferzan: Wir sind keine Roboter, sondern Musiker. Man kann Fehler natürlich reduzieren, indem man viel übt. Man soll sich Fehler erlauben können, dann passieren auch weniger Fehler. Es ist Leben auf der Bühne und Leben ist nicht perfekt.
Schleicht sich nicht auch Routine ein?
Ferzan: Wenn wir auf Tournee mehrmals die gleichen Stücke spielen müssen, ist es schwierig, sich stets neu zu motivieren. Aber auf der Bühne kommt die Lust am Musizieren.
Ferhan: Jeder Moment ist einzigartig. Es ist immer anders, das Publikum, die Atmosphäre. Eine Tournee ist anstrengend, aber unglaublich erfüllend. Wenn man nach Hause kommt, ist es schwierig wieder in den Alltag zu finden. Man fällt in ein Loch.
Warum? Weil so viel los war, wegen dem fehlenden Applaus?
Ferhan: Nein, gar nicht. Man gibt alles und fühlt sich dann leer. Wenn ich mich wieder für das nächste Konzert vorbereite, wird es besser. Grundsätzlich lebt man mit einem schlechten Gewissen. Denn egal was ich tue, denke ich, ich sollte eigentlich am Klavier üben. Nur wenn ich mit meiner Tochter zusammen bin, geht es mir nicht so.
Kritiker meinen, Sie seien eine Seele auf der Bühne.
Ferhan: Das ist nicht unser Ziel, und das können wir ja auch gar nicht sein, weil wir ganz verschieden sind. Damit ist vielleicht eine natürliche Selbstverständlichkeit zwischen uns gemeint. Wir ergänzen uns gut.
Ferzan: Auf der Bühne spüre ich, wie sich Ferhan fühlt. Das liegt auch daran, dass wir Zwillinge sind. Diese starke Verbindung spüren Kritiker und Publikum.
Wie unterscheiden Sie sich charakterlich?
Ferzan: Ich bin eher die Ruhigere.
Ferhan: Musikalisch bin ich marcato, meine Schwester dolce.
Ferzan: Ich bin Chopin, du bist Liszt.
Woher kommt diese Leidenschaft für Musik?
Ferhan: Wir sind damit aufgewachsen und haben schon als Kinder acht, neun Stunden pro Tag geübt. Unsere Eltern lieben klassische Musik und haben alles für unsere Ausbildung getan. Es war für sie schwer, diesen Weg zu gehen. Wenn ich am Klavier sitze, denke ich daran, wie dankbar ich sein kann. Man muss sein Leben in die Hand nehmen, aber man braucht auch die richtigen Leute im richtigen Moment. Und man muss üben, üben, üben. Aber das allein reicht nicht. Auch Glück ist nötig.
Hat das Üben immer Spaß gemacht?
Ferzan: Wir hatten nicht viele Spielsachen und das Üben zu zweit war für uns wie mit- einander spielen. Klassische Musik war unserer Umgebung fremd, dadurch waren wir etwas Besonderes. Die Bewunderung und der Stolz der Eltern haben uns für viele Stunden entschädigt. Das Üben mit der Schule verbinden zu müssen, war stressig. Mutter hat uns nicht nur einmal weinend am Klavier vorgefunden, weil wir noch Hausaufgaben machen und üben mussten.
Musizieren Ihre Kinder auch schon?
Ferhan: Meine Tochter ist zwölf und spielt Klavier und Geige, sie malt auch. Ich finde, jedes Kind sollte ein Instrument erlernen. Das fördert die Konzentration, die Disziplinfähigkeit, und Musik erweitert die Seele. Meine Tochter hat heute gesagt, ein Tag ohne Konzert ist ein verlorener Tag.
Ferzan: Mein Sohn, er ist bald zwei, trommelt gerne und klimpert am Klavier herum. Musik berührt so tief, die Wirkung ist unglaublich. Am Morgen hören wir immer Musik, oft Mozart. Ich spüre, dass er ausgeglichener ist, diese Atmosphäre genießt.
Ferhan: Am liebsten probe ich einen Tag und eine Nacht lang. Nur Musik und sonst nichts. Auch die Schwangerschaft konnte mich nicht aufhalten: Wir waren auf Tournee in Deutschland, als ich hochschwanger war. Ein Veranstalter war mehr besorgt als ich. Wir sind mit dem Auto hingefahren, ich habe die Füße hoch gelagert und war entspannt. Es ist auch toll, wenn man als Schwangere die Bühne betritt, und alle sagen „Oh“.
Wie wichtig ist Ihnen Stille?
Ferhan: Ich suche nicht die Stille als Gegenpol zur Musik, aber die Stille im Alltag. Handy, Computer, Facebook, immer ist was da. Die Stille in mir selbst suche ich.
Ferzan: Stille ist für mich wie Kraft tanken.
Wie erleben Sie die Salzburger Festspiele?
Ferhan: Vor Jahren sind wir dort aufgetreten und ich bin oft bei Konzerten im Publikum. Das sind natürlich fantastische Höhepunkte, aber das Rundherum, die Society ist nicht meines. Die Stadt Salzburg ist wunderschön, wie ein Museum. Man spürt Mozart und diese Zeit. Das ist einzigartig.
Ferzan: Ich merke, dass die Festspiele nicht für das breite Publikum gedacht sind. Es ist sehr elitär. Im Wiener Konzerthaus hingegen muss man keine Angst haben, sich falsch zu verhalten oder was Falsches anzuziehen. Salzburg ist traditionell, und das passt ja auch. Wir sind aber mehr an der Moderne orientiert.
Sie kommen viel in der Welt herum. Wo fühlen Sie sich am wohlsten?
Ferzan und Ferhan: In Wien!
Ferzan: Wir sind schon seit 25 Jahren hier und nichts ist fremd. Ich weiß zu schätzen wie gut es uns hier geht. Dass man einfach zur Wasserleitung gehen und trinken kann. Oder gute Luft zu atmen, das ist Luxus.
Ferhan: Zuletzt ist es vermehrt vorgekommen, dass wir nicht so freundlich behandelt wurden. Als Musikerin ist man willkommener als andere, aber auch wir werden nach Aussehen und Akzent beurteilt. Doch wir alle sind Ausländer.
Ferzan: Ich war vor kurzem in einem Immobilienbüro im ersten Bezirk. Die Mitarbeiterin meinte nur: „Der Wohnungsbesitzer vermietet an keine Ausländer“. Erst als ich ihr sagte, dass ich seit vielen Jahren Österreicherin bin, entschuldigte sie sich achselzuckend und gab mir ihre Visitkarte, um eine andere Wohnung für mich zu finden. Vielleicht sollten sie am Eingang ein Schild anbringen: „Ausländer draußen bleiben“.
Wie reagiert man auf Ihre türkische Herkunft?
Ferzan: Viele sagen, wir seien untypische Türkinnen. Aber in der Türkei gibt es viele moderne, selbstbewusste Frauen, die kein Kopftuch tragen. Sicher, das Image der Türkei hat sich durch Erdogans Politik verschlechtert. Mit Sorge verfolgen wir, wie mit unserem Freund Fazil Say (der Pianist wurde wegen Witzen über den Islam angeklagt; Anm.) umgegangen wird. Die Türkei muss nun zeigen, wie sie mit Andersdenkenden umgeht. Sind Toleranz, Freiheit und Demokratie auf dem Weg nach Europa wichtig oder befinden wir uns auf dem Weg zurück in Zeiten, die wir als abgeschlossen betrachtet haben?