Süchtig nach diesem Licht

 

Die frühere Diplomatin Elisabeth Karamat hat ihr Leben in Brüssel
hinter sich gelassen: Seit drei Jahren lebt sie auf der kleinen Karibikinsel St. Kitts und baut dort ein landwirtschaftliches Projekt für Jugendliche auf. Über ihr neues Leben an der Seite ihres Lebensgefährten Kwando hat sie das Buch „Der Honigmann“ geschrieben. 

Eva Maria Bachinger, Foto: Archiv Elisabeth Karamat, Publiziert in Die Furche Wien 2012

Die 35 Grad Celsius im Wiener Burggarten sind Elisabeth Karamat vertraut. Sie ist am Vortag aus der Karibik nach Österreich gekommen und froh, keinen Temperatursturz verkraften zu müssen. Bei einem kühlen Drink, umgeben von üppiger Vegetation im Palmenhaus, fühlt sie sich gleich wie zu Hause in St. Kitts. 

Sind Sie eine Aussteigerin?

St. Kitts ist wunderschön und die Karibik hat den Ruf, ein Urlaubsparadies zu sein. Aber es gibt auch dort ein anderes Leben. Manche denken vielleicht, die hat es leicht, auf einer schönen Insel. Aber ich wehre mich gegen den Ausdruck Aussteigerin, denn aussteigen aus was? Ich habe begonnen, ein erfülltes Leben zu führen. 

Wie konnten Sie sich das leisten?

Ich habe eine gute Ausbildung und hatte in Brüssel einen guten Job. Jetzt lebe ich sehr bescheiden, aber ich habe eine hohe Lebensqualität. Oft fragt man mich, wie ich diesen Kontrast verkraften konnte. Das Diplomatenleben wird ein wenig verherrlicht, so ist es für mich einfach gewesen, mein altes Leben hinter mir zu lassen. Auf der Insel war ich gleich eingebunden und habe bald Kwando kennengelernt. Ich habe in Brüssel viel gelernt und bin interessanten Menschen begegnet, aber ich persönlich war in einem grauen Tunnel. Ein harter Scheidungskampf lag hinter mir, ich habe viel gearbeitet, drei Kinder großgezogen und zehn Jahre keine Beziehung gehabt. Ich wusste zwar, so kann es nicht weitergehen, aber ich sah einfach keine Perspektive. Als ich in St. Kitts mit einer Kollegin auf Urlaub war, kam mir der Gedanke, es würde mir so guttun, ein paar Jahre hier zu sein. Ein Pfarrer hat mir angeboten, doch bei einem Projekt mit Jugendlichen mitzuarbeiten. Das war meine Chance. Mein Ex-Mann ist vor vier Jahren an Krebs gestorben. Todkrank sagte er mir, mach es, geh nach St. Kitts. Du kannst den Kindern mehr geben, wenn du glücklich bist, egal wo du bist. 


Worum geht es bei Ihrem Projekt? 

Wir versuchen in dem affenverseuchten Agrargebiet von Saddlers, wo Kwando seine Farm hat, mit Jugendlichen einen Alternativanbau zu Obst und Gemüse aufzubauen. Denn die Affen fressen alles, so versuchen wir es nun mit Heilkräutern und Gewürzpflanzen. Zuerst haben wir Koriander gepflanzt, doch die Affen fressen es, dann Turmeric, auch das fressen sie. Nun versuchen wir es mit Ingwer, bis jetzt haben sie nichts angerührt. Wir wollen die Produkte nach Europa und in die USA exportieren. Unterstützt werden wir von der Erzdiözese Wien und vom österreichischen Außenministerium. So- bald alles funktioniert, wollen wir die angrenzenden Bauern einbeziehen, denn wegen der Affenplage wollen sie abwandern.

Woher kommen die Affen?

Auf der Insel leben 35.000 Menschen, aber 100.000 Affen. Es sind westafrikanische Grünmeerkatzen, die hier keine natürlichen Feinde haben. Es gibt Leute, die sie abschießen, die Fallen stellen und sie dann für Tierversuche verkaufen. Andere errichten Zäune mit Elektrodraht, aber sie finden das alles heraus. Andere halten sich bissige Hunde, doch die Affen freunden sich mit den Hunden an. Dann sitzt der Hund unter dem Baum und schaut zu, wie die Affen oben die Mangos fressen. 

Wieso beziehen Sie Jugendliche mit ein? 

Derzeit arbeiten zehn Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren bei uns mit, hauptsächlich Burschen. St. Kitts hat eine hohe Kriminalitätsrate, viele Schulabbrecher und viele Teenager-Schwangerschaften. Wichtig ist es, die Jugendlichen von der Straße weg zu bringen. Wenn sie bei uns arbeiten, spüren sie, dass sie Fähigkeiten haben und Ideen umsetzen können. Es gibt in St. Kitts auch den starken Trend zu Junkfood. Durch das Projekt sollen sie in Verbindung mit Gemüse- und Obstsorten bleiben und viel über den Anbau lernen. Die jungen Frauen sind oft sexuell missbraucht worden, früh schwanger geworden und haben die Schule abgebrochen. Sie sehen keine Perspektive für ihr eigenes Leben. Es ist viel schwieriger, diese Resignation aufzubrechen, als mit der Aggression der Burschen umzugehen. 

Wie ist für Sie als Ex-Diplomatin die Arbeit mit schwierigen Jugendlichen? 

Mit den Jugendlichen zu arbeiten ist eine Herausforderung, denn ich bin nicht geschult. Ich versuche einfach, ein offenes Ohr für sie zu haben und Hilfe zu koordinieren. Ich bin sehr gern draußen, durch die Arbeit bin ich körperlich stärker geworden. Ich verbringe natürlich weiterhin viel Zeit vor dem Computer, aber ich habe diese Abwechslung. 

Was sagen Ihre mittlerweile erwachsenen Kinder zu Ihrem neuen Leben? 

Am Anfang war es konfliktreich und es gab Spannungen. Einerseits habe ich gewusst, ich muss weg, andererseits wusste ich nicht, wie ich es den Kindern beibringen soll. Wir haben aber über Skype täglich Kontakt und ich komme drei Mal im Jahr nach Österreich. Immer wieder sagen sie, es wäre schön, wenn ich nicht so weit weg wäre. Aber sie sehen, dass es mir gut geht. 

Wie reagieren Leser auf Ihr Buch? 

Die Menschen sehen, ja, man kann einen drastischen Schritt setzen. Manche ermutigt es auch, ihr Leben würdevoller, schöner zu gestalten und sich nicht alles gefallen zu lassen. Wir sollten uns nicht für Konsum und Arbeit versklaven, sondern auch wissen, wie wertvoll unser Leben ist. Wir haben nur dieses eine. 

Sie schreiben, vom Flugzeug aus sehe man Europa unter einem grauen Schleier. 

Das hat manche Leser gestört. Aber es ist natürlich auch in Österreich wunderschön. Mir ist es psychisch nicht gut gegangen und der graue Schleier war symbolisch für den grauen Alltag gemeint, der mich nach meinem Urlaub in St. Kitts erwartet hatte. Es ist aber wirklich so, dass es dunkler wird, wenn man in Europa landet, auch wenn es sonnig ist. Wenn das Flugzeug in St. Kitts hinuntergeht, ist es bei der Landung genauso hell wie oben. Ich bin süchtig nach diesem Licht. 

Sie sind mit einem Einheimischen liiert und entsprechen damit einem Klischee. 

Ja, viele sprechen mich darauf an. Es fahren auch viele Frauen in die Karibik, um sich einen Mann für kurze Zeit zu angeln. Manche Amerikanerinnen sehen die Karibik als ihre sexuelle Spielwiese an. Das ist Realität. Doch meine Beziehung ist nicht oberflächlich. Es gibt Schicksale wie unseres: Menschen aus unterschiedlichen Welten kommen zusammen und wollen zusammenbleiben. 

Was lieben Sie so sehr an der Insel? 

Das Meer. Überall siehst du es, weil die Insel so klein ist. Da ist immer ein Gefühl der Weite. Zu laufen, den Berg hoch, danach im Meer schwimmen. Das kann man nicht mit Geld aufwiegen. 

 
 

Elisabeth Karamat

Geb. 1966 in New York, besuchte das Lyceé in Dakar und Washington. Sie studierte Kunstgeschichte in Wien, auf der Diplomatischen Akademie spezialisierte sie sich auf Völkerrecht und internationale Verhandlungen. 2009 quittierte sie ihren Job als Botschaftsrätin in Brüssel und übersiedelte nach St. Kitts. Dort betreibt sie ein landwirtschaftliches Projekt für Jugendliche. 

Previous
Previous

Samuel Koch

Next
Next

Ulrich Eichelmann