Versalzene Thaya

Chlorid- und Sulfatabwasser der Firma Jungbunzlauer, bald auch Streusalz von der Nordautobahn,  die Abwasserbelastung der Thaya im Weinviertel ist enorm. Jetzt wird sie zum Politikum.

„Ich mache mir ernste Sorgen um die Thaya und um meinen Boden”, sagt Robert Harmer, Biopionier und Landwirt. Auf seinem 400 Jahre alten Gut Alt-Prerau im Weinviertel an der tschechischen Grenze pflanzt er auf 400 Hektar Ackerboden Karotten, Erdäpfel, Weizen, Roggen und Dinkel, ein wichtiger Abnehmer ist die Firma Hipp-Babynahrung. Er hält eine ausgeklügelte Fruchtfolge ein, um den Boden lebendig zu halten. Ohne Bewässerung lässt sich der sandige, trockene Boden hier aber nicht bewirtschaften, immer schon. Der Hof hat seit 100 Jahren das Recht, der Thaya Wasser zu entnehmen. 

Spurensuche, Text: Eva Maria Bachinger, Foto: Karin Wasner
Thaya, Niederösterreich 2020

Publiziert in Falter

Genau dieses Thaya-Wasser wird für Harmer aber immer mehr zum Problem. Zu salzig, zu chlorid-haltig sei es, behauptet er, und holt einen Aktenstoß vom Fensterbrett. Seit 30 Jahren kämpft er mit der Firma Jungbunzlauer in Pernhofen weiter flussaufwärts um sein Recht auf sauberes Wasser. Das Schweizer Unternehmen mit Standorten in Europa, Kanada, Mexiko und Indien erzeugt für die Lebensmittel - und Pharmaindustrie vor allem Citronensäure, die sich etwa in Wurstwaren oder Knabbergebäck findet. Bei der Produktion fallen verschiedene chemische Schadstoffe an, auch Chlorid und Sulfat. Die Abwässer werden nach einer Betriebskläranlage über eine Leitung direkt in die Thaya gepumpt. Chlorid und Sulfat lassen sich aber nicht filtern, es geht in den Fluss. Jungbunzlauer ist im strukturschwachen Norden Österreichs ein wichtiger Player: Mehrere Schilder weisen den Weg, rund 450 Mitarbeiter sind beschäftigt. Trotz Corona-Krise werden Facharbeiter und Lehrlinge gesucht, die Betriebsanlage ist so groß wie das Dorf Wulzeshofen daneben. 

Die Abwässer der Firma Jungbunzlauer sind aber nicht die einzigen, die das ökologische Gleichgewicht der Thaya gefährden könnten. Demnächst will die Autobahngesellschaft Asfinag beim geplanten Abschnitt Poysbrunn bis zur Grenze der Nordautobahn A5 eine fast 20 km lange Druckrohrleitung bauen, um ihre Winterabwässer direkt in der Thaya zu entsorgen. Das Problem: Auch sie sind durch den Einsatz von Streusalz kontaminiert. Von der Straße gelangt das Salzwasser in umliegende Bäche und Böden. Die Leitung soll deshalb in einen größeren Fluss und dabei auch durch den Grund von Harmer gehen. Auch dagegen kämpft Harmer an, mit Hilfe seines Anwalts Wolfram Proksch. Die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) ist aber mittlerweile abgeschlossen, die Leitung durch den Verwaltungsgerichtshof als Letztinstanz seit 2018 genehmigt. 

Wie viel Abwasser verträgt die Thaya wirklich? Ist Harmer nur ein Querulant? Oder droht im Weinviertel ein handfester Umweltskandal? Wer sich auf die Suche nach Antworten macht, stößt auf seltsame Zufälle, wirtschaftliche und persönliche Verflechtungen und dort, wo es um harte Fakten geht, auf eine Mauer des Schweigens.

Ein Anruf bei der Asfinag. Man sei sich der Umweltbelastung bewusst, betont Asfinag-Sprecherin Alexandra Vucsina-Valla, doch Salz sei „die beste Wahl“ um die Verkehrssicherheit „bei allen Witterungsbedingungen zu hundert Prozent“ zu garantieren. Die Druckleitung sei bei diesem Autobahnabschnitt nötig, weil „größere Salzmengen anfallen und diese Chloridmenge könnte dann nicht mehr unter Einhaltung der Grenzwerte in die lokalen Gewässer eingeleitet werden“, schildert sie. Pro Jahr wird die Asfinag mindestens 250 Tonnen Salz in die Thaya leiten dürfen, das sei in Ordnung, weil die Thaya nicht vorbelastet und keine ökologische Beeinträchtigung zu erwarten sei. Auch mit dem Argument, dass eine Entsalzungsanlage zu teuer und zu energieintensiv sei, hatte die Asfinag vor Gericht Erfolg. Der Forderung von Proksch nach einer Vergleichsrechnung zur Pipeline ist das Verwaltungsgericht nicht nachgekommen. 

Und die ökologische Unbedenklichkeit? Zu den 250 Tonnen Chlorid-Abwasser pro Jahr von der Asfinag können jetzt schon bis zu 40 Tonnen Chlorid pro Tag von der Firma Jungbunzlauer in die Thaya fließen: „Wir haben uns immer auf die 250 Tonnen fokussiert, doch dann zeigte ein Bescheid der BH Mistelbach, dass der Firma Jungbunzlauer noch viel höhere Grenzwerte eingeräumt werden”, sagt Anwalt Proksch. Per Bescheid vom 11. Jänner 2016 erlaubt die Behörde der Chemiefirma tatsächlich eine Erhöhung der Abwassermenge auf bis zu 40.000 m³ pro Tag, sowie die Einleitung von 40 Tonnen Chlorid pro Tag und 60 Tonnen Sulfat pro Tag. Die Jungbunzlauer-Abwässer dürfen auch bis zu 30 Grad Celsius warm sein. 

Ein Besuch bei Jungbunzlauer. Josef Gaß, Produktionsleiter des Unternehmens, hat auch einen ganzen Ordner mit Unterlagen. Er erklärt alles genau, mitunter auch emotional und legt Papiere zur Untermauerung seiner Sicht der Dinge vor: Die Erhöhung auf bis zu 40 Tonnen Chlorid-Abwasser pro Tag sei im Rahmen der österreichisch-tschechischen Grenzgewässerkommission erfolgt, auch Bio-Landwirt Harmer sei hier eingebunden gewesen. Notwendig sei sie gewesen, aufgrund von Änderungen in der Produktion. Emissionen wie Chlorid und Sulfat „waren und sind immer auf einem Niveau, das den behördlichen Vorgaben entspricht, und demnach ökologisch unbedenklich“, betont Gaß. 

Und was sagt das Land Niederösterreich dazu? Martin Angelmaier, Leiter der Abteilung für Wasserwirtschaft, weist auf den Expertenbericht „über die stoffliche Belastung der Pulkau und der Thaya“ aus dem Jahr 2015 der TU Wien hin, der die Grundlage für den BH-Bescheid gewesen sei. Erst durch diesen Bescheid seien Grenzwerte für Chlorid und Sulfat eingeführt worden, und es seien ja immerhin auch Emissionen wie Stickstoff, Phosphor, Kupfer und Zink reduziert worden, so Angelmaier. Die Wasserqualität der Thaya wurde bisher auf „mäßig bis unbefriedigend“ eingestuft, die der Pulkau ist noch schlechter. 

Deshalb hat sich Jungbunzlauer auch zu einem Monitoring verpflichtet, mit Eigen- und Fremdmessungen. „Wir stehen für Offenheit und Transparenz, wir haben alle Zufuhr- und Emissionsdaten der Behörde übermittelt. Sie kennt die Daten genau”, betont Produktionsleiter Gaß. 



Doch Transparenz gibt es nur für die Behörde, für die Öffentlichkeit nicht - trotz Umweltinformationsgesetz, das das Ziel hat den freien Zugang zu Umweltdaten zu schaffen. Anwalt Proksch versucht durch Klage den 142-seitigen Expertenbericht der TU zu bekommen. Bisher vergeblich, da darin betriebsinterne Informationen enthalten seien, argumentierte die BH Mistelbach. Jungbunzlauer beharrt auf Geheimhaltung, da die Firma am Weltmarkt exponiert sei. Es habe schon Anfragen aus Indien gegeben und wenn die Daten veröffentlicht werden, könnte die Konkurrenz Rückschlüsse auf die Produktion ziehen. 

Selbst eine Herausgabe mit geschwärzten Stellen wurde vom Landwirtschaftsministerium abgelehnt, weil der Bericht „eine untrennbare Einheit“ darstelle. Nur ein 20-seitiger Auszug mit unverfänglichen Aussagen ist zu haben. Auch dem Falter wurde die Herausgabe des Gesamtberichts verweigert, mit Verweis auf das laufende Rechtsverfahren. 

Dazu kommt, dass als Amtssachverständiger vom Landesgericht St. Pölten just ein ehemaliger Mitarbeiter der Firma Jungbunzlauer beauftragt wurde, Dietmar Moser. Gaß und das Land NÖ weisen eine Befangenheit entschieden zurück: Moser hätte keine Bescheide beeinflussen können, sondern habe nur fachliche Stellungnahmen in seiner Funktion beim Land NÖ abgegeben, sagt Wasserwirtschafts-Abteilungsleiter Angelmaier. Gaß wird bei diesem Thema so richtig emotional: “Da ist für mich wirklich eine Grenze erreicht. Eine Mitarbeit von Moser bei Jungbunzlauer ist mehr als 30 Jahre her. Er hat uns als Firma Grenzwerte vorgeschrieben, nun wird er öffentlich geprügelt.” Trotzdem will das Landesgericht St. Pölten Sachverständigen Moser vorerst nicht mehr als Experten beiziehen. “Auf Wunsch des Chemiekonzerns Jungbunzlauer verschweigen Landwirtschaftsministerium und Land Niederösterreich Informationen zur Abwasserbelastung der Thaya”, bilanzierte das Nachrichtenmagazin profil die Causa vor zwei Wochen.

Biobauer Harmer wollte es genau wissen und beauftragte die Universität für Bodenkultur (Boku) mit einem Gutachten, über die Folgen der Chlorid- und Sulfatbelastung der Thaya. Ergebnis laut Peter Cepuder vom Institut für Bodenphysik und landeskulturelle Wasserwirtschaft der Boku: Die Bewässerung der Felder sei aufgrund der Wasserqualität als „unbedenklich einzustufen“ und „dürfte sich nicht negativ auf die Pflanzenproduktion und die Bodenqualität auswirken“. Allerdings stellte sich bei der Analyse der Wasserproben heraus, dass die Frachten von Chlorid und Sulfat in Bezug auf die Grenzwerte „deutlich“ überschritten wurden, und zwar um bis zu 100 Prozent bei Chlorid und um bis zu 87 Prozent bei Sulfat. 

Jungbunzlauer behauptet, Cepuder habe das Gutachten widerrufen. Ganz so ist es nicht: Die Boku kam unter gehörigen Druck und erhielt Schreiben vom Firmenanwalt Peter Krömer. Daraufhin sah sich die Rechtsabteilung der Boku gezwungen, explizit darauf hinzuweisen, dass Cepuder „zu keiner Zeit“ behauptet habe, dass Jungbunzlauer für die erhöhten gemessenen Chloridwerte verantwortlich sei. Die Firma verbittet sich vehement, diesen Kontext herzustellen. „Das tue ich auch nicht“, meint Harmer. „Ich will nur wissen, woher das Salz kommt. Wie komm ich als Biobauer dazu, solche Gutachten über die Wasserqualität machen zu lassen? Die Behörden sind gefordert, den Verursacher zu finden.“ 

Mögliche Emittenten könnten auch andere Unternehmen oder die tschechische Stadt Znaim mit rund 33.000 Einwohner sein. Allerdings müsste dort eine Art „Schleusenwart“ sein, der immer geballt Chlorid und Sulfat in die Thaya lässt, meint Harmer. Zudem: Es gibt dort in der näheren Umgebung keine größere Firma. Jungbunzlauer erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass die Abwässer des gesamten Pulkautales durch die Pulkau ebenfalls in der Thaya landen würden. 

Wie kommen die Fische mit dem ganzen zurecht? Die Thaya galt früher als unglaublich fischreich, mit etwa 35 Fischarten. Diese Zeiten sind definitiv vorbei. Fische sind relativ salztolerant, heißt es in einer Chlorid-Studie (2014) für das Landwirtschaftsressort. Doch auch ihnen kann es zu viel werden: Dann brechen ihre osmoregulatorischen Schutzfähigkeiten zusammen, sie verenden. Sulfat in Kombination mit Chlorid kann toxisch besonders für Mikroorganismen wirken. 

Für Fische sind aber längst nicht nur Schadstoffe ein Problem. WWF-Flussexperte Gerhard Egger nennt die starke Veränderung der Abflussverhältnisse, die Stauseen in Tschechien, die harten Uferverbauungen und die Beeinträchtigung mit Nährstoffen aus der Landwirtschaft als die größten Probleme für die Thaya. „Der Handlungsbedarf ist groß“, betont Egger. Laichplätze für Fische gingen verloren, weil Schotter fehlt. Sogar im Nationalpark Thayatal: „Wir haben 67 kg Fisch pro Hektar, das Nahrungsangebot könnte aber bis zu 200 kg Fisch tragen. Feststellbar ist, dass es eine zu geringe Reproduktion gibt“, so Nationalpark-Direktor Christian Übl. 

Wie es wirklich um die Wasserqualität der Thaya bestellt ist, wird ein Bericht im Rahmen der EU-Wasserrahmenrichtlinie zeigen, der im Frühjahr 2021 veröffentlicht wird. Das Grüne Umweltressort verweist in Bezug auf Wasserqualität der Thaya auf das zuständige Landwirtschaftsministerium. Dort wiederum hält man sich aufgrund der laufenden Rechtsverfahren bedeckt. Die Neos und die SPÖ planen zu den Vorgängen nun parlamentarische Anfragen. 

Harmer, Bio-Landwirt, Jäger und auch Fischer, weiß: “Den Fischen geht es nicht gut, doch um die Fische geht es schon lange nicht mehr.”

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