Süßwasserfische im Salzwasser.

Streudienste machen Straßen sicherer. Einen Teichwirt könnten sie um die wirtschaftliche Existenz bringen. 

Text: Eva Maria Bachinger, Foto: Karin Wasner,
Niederösterreich 2021

Publiziert in Falter

 

Florian Kainz fährt durch den Wald um den Jägerteich im niederösterreichischen Waidhofen an der Thaya. Die Landschaft nahe der tschechischen Grenze besticht durch Schönheit und Artenvielfalt, hier summen im Sommer die Insekten, tummeln sich Seeadler und Eisvogel, während die Fischotter im Wasser ihre Kreise ziehen. Der Jägerteich samt Wald ist als Europaschutzgebiet ausgewiesen. Kainz betreibt hier mit seiner Familie eine naturnahe Teichwirtschaft. Sie sind ökologisch von Bedeutung. Die Teiche geben Arten nicht nur Lebensraum, sie mildern auch Hochwasserereignisse ab und sind wichtig fürs Mikroklima in einer zunehmend von Niederschlagsarmut betroffenen Gegend. Im Waldviertel haben Fischteiche eine jahrhundertealte Tradition. Manche – wie der Jägerteich – wurden bereits vor 800 Jahren angelegt. Insgesamt gibt es im Waldviertel rund 2.400 Fischzucht- und Angelteiche. 

„Wenn die Teiche nicht mehr bewirtschaftet werden, können sie auch nicht mehr erhalten werden, sie verlanden oder werden trockengelegt“, sagt Kainz. Er fürchtet um die Zukunft seiner wirtschaftlichen Existenz. Und das liegt am Salz. Allein auf Österreichs Bundes- und Landesstraßen brachten Streudienste laut der FSV-Forschungsgesellschaft Straße, Schiene, Verkehr im vergangenen Winter 345.000 Tonnen Salz aus. Hauptsächlich verwenden sie Natriumchlorid in Form von trockenem Streusalz, kombiniert mit dem aggressiveren Kalziumchlorid als Feuchtsalz (Sole). Das sei umweltschonender, heißt es von der Asfinag, weil Sole sofort wirke und den Salzbedarf erheblich senke. Wieviel Salz Private streuen und auf Österreichs Gemeindestraßen landen, weiß hingegen niemand. Die Salinen AG in Ebensee produziert jedenfalls etwa pro Jahr 250.000 bis 500.000 Tonnen Streusalz, zum Großteil für Abnehmer in Österreich. Auf der Website wirbt man für „umweltschonendes“ Auftausalz, das eine „rückstandsfreie“ Anwendung ermögliche. Mit „rückstandsfrei“ sei gemeint, dass das Streusalz “vollständig aufgelöst” mit dem Schmelzwasser „weggeschwemmt“ werde, erklärt Katharina Steiner, Sprecherin der Salinen AG. 

Doch Streusalz verschwindet nicht einfach. Das kontaminierte Wasser sickert in den Boden, es kommt zu Verschlammung und Bodenverdichtung. „Bäume, die direkt an Straßen stehen, leiden sehr unter Salz, weil zunehmende Trockenheit und Bodenversiegelung ohnehin bereits Stressfaktoren sind. Schäden sind besonders bei Kastanie, Ahorn und Linde feststellbar“, erklärt Roland Albert, Pflanzenphysiologe an der Uni Wien. Natriumchlorid dringt auch ins Grundwasser ein, wo das anorganische Salz nicht abgebaut werden kann. Es gelangt damit ins Trinkwasser und beeinträchtigt Fließ – und Stillgewässer. 

 

„Wenn die Entwicklung so weitergeht und sich die Chloridbelastung auf weitere Teiche erstreckt, ist es fraglich, ob wir unsere Fischzucht künftig noch aufrechterhalten können“

Florian Kainz

 

Teichwirt Florian Kainz nennt es eine „Vergiftung“. Er befürchtet, dass das Zooplankton zurückgeht, also die eiweißreiche Nahrung für die Fische. Die Ökologische Station Waldviertel – eine Einrichtung des Landwirtschaftsministeriums – nahm vor drei Jahren in den Teichen der Familie Kainz Proben. Sie stellte eine Chloridbelastung mit Spitzenwerten von bis zu 500 Milligramm pro Liter (mg/l) fest, Christian Bauer von der Ökologischen Station sieht darin einen „dramatischen Anstieg“ gegenüber Proben von 2006/2007. Einen Grenzwert bei Chlorid gibt es nicht, nur einen Richtwert für natürliche Gewässer von 150 mg/l. Der natürliche Chloridgehalt sollte in einem Fischteich höchstens 12 mg/l betragen. Der Salzgehalt in Kainz’ Teichen übersteigt die Norm also um ein Vielfaches. Und im Unterschied zu Fließgewässern tritt die Belastung in Teichen nicht nur kurzfristig auf, sondern bleibt lange bestehen und kann sich durch Verdunstung sogar noch verschärfen. 

Die Brüder Florian und Andreas Kainz betreiben die Teichwirtschaft mittlerweile in dritter Generation. Gerade haben sie die Ernte von Karpfen, Hechten und Schleien eingeholt: Wochenlang werden im Spätherbst Fische von einem Teich in den anderen gebracht, die ausgewachsenen Exemplare abgefischt und verkauft. Es ist eine knochenharte Arbeit, bis zu zwölf Stunden täglich. Doch ihre Fischzucht lohnt sich immer weniger, denn die Fische wachsen nicht mehr so schnell wie sie sollten. „Wenn die Entwicklung so weitergeht und sich die Chloridbelastung auf weitere Teiche erstreckt, ist es fraglich, ob wir unsere Fischzucht künftig noch aufrechterhalten können“, sagt Florian Kainz. 

Aber stimmt seine Vermutung auch? Aufgrund der Chlorid-Spitzenwerte in den Teichen untersuchte Georg Wolfram, ein Sachverständiger für Gewässerökologe, ob sich das Salz auf das Ökosystem ausgewirkt hat. Grundsätzlich halten Fische einen höheren Salzgehalt besser aus als andere Lebewesen. „Algen hingegen sind empfindlicher und können dem Salz wenig entgegensetzen, auch Amphibien sowie Wirbellose wie Insekten, Kleinkrebse und Weichtiere gehen als erste Lebewesen in die Knie“, schildert Wolfram. „Wenn es hier zu Ausfällen kommt, hat das natürlich Auswirkungen auf die Wasserqualität und auf das gesamte Nahrungsnetz, das trifft dann indirekt auch die Fische.“ Resümee seiner Studie: Der Karpfenertrag sei im Unteren Kiebitzteich „deutlich“ zurückgegangen. Es sei jedoch nicht klar, ob diese Entwicklung dem Chlorid zuzuschreiben sei. Dafür ist die Datenlage noch immer zu dünn. Für mehrjährige Studien fehlt aber das Geld. 

Erklären lässt sich hingegen, warum die Chlorid-Werte in den Waldviertler Teichen in den vergangenen Jahren derart gestiegen sind. Sie sind sogenannte „Himmelsteiche“, das heißt, sie werden ausschließlich durch den Niederschlag aus dem Wassereinzugsgebiet gefüllt. Die Teichwirtschaft grenzt direkt an die Bundesstraße B36. Der Verkehr hat dort in den vergangenen Jahren zugenommen, besonders der LKW-Verkehr, weil Nebenbahnen eingestellt wurden und der Güterverkehr nicht mehr auf der Schiene erfolgt. Auf Salzstreuung könne aus Sicherheitsgründen nicht verzichtet werden, weil das „Stand der Technik“ sei und dies bei Gerichtsverfahren und Versicherungsfragen entscheidend sei, so die Rechtsmeinung der Behörden. Im Landesstraßennetz ist prinzipiell aber auch der Einsatz von Streusplitt erlaubt. 

 

„Einzelne Spitzenwerte bei Chlorid sind lokal feststellbar und stehen im Zusammenhang mit dem Winterdienst“

erklärt Martin Angelmaier

 

Zum Verkehr auf der Bundesstraße kommt noch das Einkaufszentrum Thayapark mit riesigen Parkplätzflächen, das die Gemeinde Waidhofen genehmigt hat und in den letzten Jahren immer weiter ausbauen ließ. Eine Folge: Salz, das im Winter auf Gehwegen und Parkplätzen Schadenersatzklagen bei Unfällen vermeiden soll. Dieses wird schließlich in Kainz’ Teiche geschwemmt. Aufgrund der Beschwerden der Familie Kainz hat die Bezirkshauptmannschaft Waidhofen im Mai 2019 alle Beteiligten zu einer Verhandlung geladen. Während die Kundenparkplätze von Spar, Hofer und Vögele seit Jahren ohne Streusalz auskommen – und dies ohne Unfälle und Anzeigen – will der Betreiber des Einkaufszentrums Thayapark Reinhold Frasl nicht darauf verzichten. Der Vorschlag, mit einer Vorrichtung die Abwässer in das städtische Kanalnetz abzuleiten, war wiederum für die Fischer „untragbar“, weil dann Wasser fehlt. Erst recht angesichts vermehrt ausbleibender Niederschläge. Das Problem ist vertrackt, eine einfache Lösung nicht in Sicht. Zu viele verschiedene Interessen prallen aufeinander: Naturschutz, nachhaltige Fischzucht, Verkehrssicherheit, Haftungsfragen. Bisher haben die Fischer auf die Unterstützung der Behörden gehofft und sich keinen Anwalt geholt, um die Sache zivilrechtlich durchzuboxen. „Wir wollen eine Lösung haben und keinen Streit“, sagt Florian Kainz. So wie in Gmünd, 25 Kilometer südwestlich von Waidhofen. Dort hat die Gemeinde ein Streusalzverbot in einer Siedlung erlassen. Der lokale Teichwirt Andreas Salvador Habsburg-Lothringen, Besitzer des Fischguts Gmünd, hatte sich dafür stark gemacht. Wäre das nicht auch in Waidhofen möglich? Bürgermeister Josef Ramharter (ÖVP) meint, man könne die Situation in Gmünd nicht mit jener in Waidhofen vergleichen. Das Problem sei die Lage der Teiche. Die waren allerdings lange vor der Straße und dem Gewerbegebiet da. Auch vom Land Niederösterreich ist bisher keine Hilfe zu erwarten. „Einzelne Spitzenwerte bei Chlorid sind lokal feststellbar und stehen im Zusammenhang mit dem Winterdienst“, erklärt Martin Angelmaier, Leiter der Abteilung für Wasserwirtschaft im Land Niederösterreich, doch das Chlorid-Problem der Teichwirtschaft Kainz sei eher ein Einzelfall. Er sieht hier auch kein öffentliches Interesse verletzt. „Durch die Betroffenheit einer einzelnen Anlage wird sich in der Regel keine Beeinträchtigung eines öffentlichen Interesses ableiten lassen, sodass in solchen Fällen mit den Werkzeugen des Wasserrechtsgesetzes keine Eingriffe in bestehende Rechte erzwungen werden können.” Konsequent ist die Argumentation des Landes nicht: Denn in einem positiven Bescheid der Abteilung Naturschutz im September 2018 zur Bewilligung des Eingriffs in die Fischotter-Population wird sehr wohl auf das „überwiegend öffentliche Interesse“ des Betriebs der Teichwirtschaft hingewiesen. „Letztlich verbleibt in solchen Situationen oft nur der Verweis auf den Zivilrechtsweg mit allen damit verbundenen Unwägbarkeiten”, sagt Angelmaier vom Land Niederösterreich. 

Florian Kainz sieht neben dem Weg zum Gericht noch einen anderen. Er ist mittlerweile von der Tour um den Jägerteich heimgekehrt und steht nun im Innenhof seines Betriebes, wo man den anhaltenden Verkehrslärm von der B36 hören kann. „Die Lösung wäre langsamer fahren, angepasst an die jeweilige Witterung, und grundsätzlich mehr Anreize zu schaffen in Richtung umweltfreundlichere Mobilität”, schlägt Kainz vor. „Doch dem Straßenverkehr wird alles untergeordnet und geopfert.“

Previous
Previous

Ein Fluss gräbt sich ein

Next
Next

Der Fahrstuhl ist leider außer Betrieb