Ein Fluß gräbt sich ein.

Die Kraftwerke verändern die Donau. Experten sehen einen akuten Handlungsbedarf.

Text: Eva Maria Bachinger, Foto: Roland Dorozhani

Publiziert in Salzburger Nachrichten, 2022

 

Die Donau gräbt sich östlich von Wien seit Jahrzehnten ein. Die Grundwasserspiegel sinken. Seiten- und Altarme gehen verloren. Das hat Folgen für Landwirtschaft, Fischerei, aber auch Trinkwasserversorgung und den Nationalpark Donau-Auen. Namhafte Wissenschafter haben Alarm geschlagen, dass etwa die Lobau massiv von Austrocknung bedroht ist. Pflanzen- und Tierarten verschwinden, immer öfter kommt es auch zu Fischsterben: Im Endbericht zur Sohleintiefung 2018 hat die Facharbeitsgruppe im Ministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus eine massive Abnahme der Fischmenge dokumentiert. Bei der Messstelle Hainburg gab es 2007 noch 246 Kilogramm Fisch pro Hektar, im Jahr 2016 nur noch 87 Kilogramm. Seit Jahren wird versucht, durch Geschiebebewirtschaftung, wie das Experten nennen, die Sohleintiefung zu verhindern. Dabei werden Kies und Schotter ausgebaggert und weiter stromauf wieder zugegeben. Zusätzlich ist der Verbund per Bescheid verpflichtet, jährlich 235.000 Kubikmeter Geschiebe nach dem Kraftwerk Freudenau zuzugeben, weil es der Donau durch die Kraftwerkskette fehlt. Die Eintiefung hat ihre Ursache auch in der Regulierung der Donau, weil sich durch sie der Druck auf die Sohle verstärkt hat. Ob diese Maßnahmen ausreichen, wagen die Viadonau und das Landwirtschaftsministerium noch nicht abzuschätzen. Die Viadonau ist ein 2005 gegründetes Unternehmen des Verkehrsministeriums. Es dient der Erhaltung und der Entwicklung der Wasserstraße Donau. Genauere Zahlen könnten erst in fünf bis zehn Jahren seriös genannt werden, hieß es. Fakt ist, dass der Facharbeitskreis mit Vertretern der Behörden, von Viadonau und Verbund klare Angaben gemacht hat: Es besteht ein Geschiebedefizit von 340.000 Kubikmetern pro Jahr. Davon gehen 270.000 Kubikmeter auf das Konto der Kraftwerkskette, also rund 80 Prozent. „Somit ist klar, dass die bisherige Kiesmenge von 235.000 Kubikmetern nicht ausreicht und sich der Fluss weiterhin eintiefen dürfte“, betont Wasserbauingenieur Gerhard Klasz, Mitglied in der Facharbeitsgruppe. Er fordert zudem für andere Donaukraftwerke ähnliche Auflagen wie für das Kraftwerk Freudenau. „Der durch jedes einzelne Donaukraftwerk verursachte Geschieberückhalt müsste künstlich, also durch Zugaben, kompensiert werden“, betont auch Robert Tögel von der Viadonau. „Es wird aber nur teilweise gemacht, nicht in dem Ausmaß, wie es nötig wäre.“ Spannend wird es spätestens dann, wenn die normalerweise auf 100 Jahre ausgelegte Bewilligungsdauer der Kraftwerke ausläuft. Es müsste dann alles neu beurteilt werden. „Ob man sich leisten kann, so lange zuzuschauen, steht auf einem anderen Blatt“, meint Tögel. Die ersten Bewilligungen laufen 2060 aus. Laut Klasz wäre Abhilfe jetzt schon möglich: Nach Paragraf 21a des Wasserrechtsgesetzes müssen die Auflagen sogar geändert werden, wenn öffentliche Interessen nachteilig berührt werden. Die Kraftwerksbetreiber verursachten externe Kosten und übertrügen sie auf Dritte wie Nationalpark, Brunnenbetreiber, Fischerei, die Allgemeinheit, so Klasz. „Insofern ist es angebracht, dass dieses Problem nach dem Verursacherprinzip gelöst wird.“ Er kritisiert grundsätzlich, dass die Geschiebedefizite der vergangenen Jahrzehnte nicht ausgeglichen werden müssen: „Durch das Kraftwerk Freudenau ist der Wasserspiegel während der vergangenen 25 Jahre weiter gesunken, was aus Sicht des Verbunds einen schönen Nebeneffekt hat.“ Denn wenn der Wasserspiegel unterhalb des Kraftwerks sinkt, steigt die Nutzfallhöhe. Eine Steigerung von 8,5 auf über neun Meter bedeute mehr Stromgewinnung, mehr Umsatz und letztlich mehr Profit. Das Thema ist politisch heikel. Der Verbund gehört zu 51 Prozent der Republik Österreich und zu einem Viertel der EVN in Niederösterreich und den Wiener Stadtwerken. Auch die Tiwag besitzt fünf Prozent der Verbund-Aktien. Roland Schmalfuß vom Verbund räumt ein, dass aus rein energiewirtschaftlicher Sicht eine Eintiefung und damit eine größere Fallhöhe vorteilhaft wäre. Aber: „Abgesehen von den nicht vertretbaren Beeinträchtigungen der angrenzenden Augebiete darf der Wasserspiegel auch für die Schifffahrt nicht zu stark absinken, sodass die Sohlstabilisierung selbstverständlich im allgemeinen Interesse liegt.“ Unter Experten wird das Einforden der Verantwortung von allen Kraftwerken an der Donau und ihren Zubringern zumindest diskutiert. Günter Liebel, Sektionschef im Landwirtschaftsministerium, sieht unmittelbaren Handlungsbedarf. „Die Sohlstabilisierung unterhalb von Wien wird gerade einer Evaluierung unterzogen, aus der dann auch weitere Überlegungen angestellt werden können.“ Im Arbeitskreis wurde beschlossen, die Maßnahmen in fünf Jahren zu evaluieren, das wäre also bereits 2023. In Zeiten von Energie- und Klimakrise werden die negativen Folgen der Wasserkraft wohl eher in Kauf genommen. Doch Ökosysteme sind komplex: Klimawandel und die Auswirkungen von Kraftwerken und Regulierung auf die Donau fallen ungünstig zusammen. Die Austrocknung wird durch länger ausbleibende Niederschläge, aber auch Starkregen verstärkt. Es müsste gelingen, den Vorgaben des Klimaschutzes so zu folgen, dass die mühsam errungenen Fortschritte in Natur- und Umweltschutz nicht über Bord geworfen würden, meint Wasserbauingenieur Gerhard Klasz.

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