Noemi Fischer

„Im Grunde arbeiten wir mit Luft”

Text: Eva Maria Bachinger, Foto: Mirjam Reither, Wien 2011

Publiziert in Die Furche,

 

Noemi Fischer spricht. Und dieser Stimme kann man sich nicht entziehen. Ihre Sprache, die Modulation, die feinen Nuancen zeigen die enormen Möglichkeiten der Sprechstimme. Sie spricht mit der Kraft des Beckenbodens. Denn dort sitzt das Potenzial der Stimme. Dass diese kräftige Stimme von einer kleinen, zarten Frau kommt, würde man nicht vermuten. Aber die Stimme ist schließlich eines ihrer wichtigsten Werkzeuge als Regisseurin und Schauspielerin. Und als Sprechlehrerin für Schauspielschüler und Presseleute. Wer sich in ihre Hände begibt, muss einen langen Atem haben, im wahrsten Sinn des Wortes. Eine Sprechpuppenausbildung bekommt man bei ihr nicht. Zuerst geht es an die Basis, an den Atem und an die Haltung. Wenn der Lehrling unter ihrer Anleitung brav übt, nach viel Geduld, Schweiß und Tränen, erst dann wird an der Aussprache gearbeitet. 

„Drück dich richtig in den Boden rein. Lass deine Stimme schnarren! Nicht zu kontrolliert! Konzentration auf den Beckenboden!“, mahnt sie. Fischer gibt im Arbeitsraum in ihrer Wohnung einer Schülerin Unterricht. Unnachgiebig ist sie, hartnäckig, aber sie spart auch nicht mit Lob. Der Raum ist voll farbenfroher Wandmalerei. Da wurde geklotzt und nicht gekleckert, geritzt und Papier auf frische Farbe gepickt. „Das waren improvisatorische Prozesse bei den Proben mit meinem Ensemble Rosengewitter. Nun sind diese Malereien auch Impulsgeber“, erklärt Fischer nach der Unterrichtsstunde. 

Sie macht einen „Gute Laune“-Tee in ihrer gemütlichen Küche mit Kamin und sinniert über den Sinn des Theaters. Erst mit 30, als sie bereits zwei Kinder und ein abgeschlossenes Studium hatte sowie für Ö1 unter den Pionieren Richard Goll und Alfred Treiber Radio machte, entschied sie sich für die Schauspielerei. „Ich sehe uns Schauspieler in dieser ungehörigen Nutzlosigkeit. Wir tun etwas Überflüssiges, etwas das nicht zweckgebunden und gewinnorientiert ist. Wir sind eine Art Luxus.“ Doch der spielende Mensch – „der homo ludens“ – sei lebensnotwendig, ist sie überzeugt. „Wir erinnern daran, was uns wesentlich zum Menschen macht. Es wäre unerträglich, wenn es keine Kultur mehr gebe. Wir würden alle sterben. Der Zauber, eine Welt auf der Bühne zu erschaffen sowie das konzentrierte Erleben im Hier und Jetzt, das sind unsere Aufgaben. Im Grunde arbeiten wir mit Luft, auch wenn wir Requisiten auf der Bühne haben.“ Fischer interessiert sich vor allem für „große, archaische Texte“. Derzeit arbeitet sie mit ihrem Ensemble an „Slobodija Odysseia, Mon Amour“. Für die „Kulturhauptstadt Marseille 2013“ hat sie ein Theaterprojekt über die Roma eingereicht. 

Angemessene Gagen freuen, sind jedoch in der freien Theaterarbeit selten. Fischer fühlt sich aber privilegiert diesem „Handwerk“ nachgehen, sich mit Authentizität und Ausdruck beschäftigen zu können. Viel Präzision und Disziplin sei dafür nötig. Natürlich könne man als Schauspielerin auch sehr viel verdienen. Stichwort Hollywood. Doch das hat seinen Preis, den Fischer nie zahlen wollte: „Es gibt einen Markt, der sehr großen Hunger nach Stars hat, nach einer Projektionsfläche. Entweder ist man das Genie, das unter der Dachkammer frierend lebt oder Prinz und Prinzessin, die wie im Märchen immer glücklich, schön, reich und jung bleiben. Dass man für seine Berufung alles opfert, für den Gang in die Arena zu den Löwen, dafür wird man großartig bezahlt.“ Diese atemlose Dynamik führe zu Ikonen, deren Absturz alle doch irgendwie erwarten, wie bei Marilyn Monroe. Abgesehen davon würden aber Männer und Frauen besonders in der freien Theaterszene permanent gleich schlecht verdienen. Das Rollenrepertoire sei für Frauen jedoch ungleich geringer, doch überwiegend mehr Frauen strömten in diesen Beruf. „Erzählt werden in den Stücken vor allem männliche Schicksale. Bei modernen Stücken ist es nicht so extrem, aber für Frauen gibt es interessante Frauenrollen vor allem vor und nach der Arterhaltung. Das Schicksal der Mutter scheint nicht so erzählenswert.“ Zwei Klischees würden besonders im Fernsehen dominieren: die junge Frau mit ebenmäßigem Gesicht, Busen und Po oder die ältere, biedere Frau. 

Generell beobachtet die Künstlerin einen atemberaubenden Stress bei modernen Frauen der Mittel- und Oberschicht. „Das Denken in Statussymbolen muss so anstrengend sein. Viele Frauen verwalten nur noch ihren Lifestyle mit Mann, Kind, dickem Auto und Golden Retriever. Alles muss total durchorganisiert sein. Da bleibt eine Menge auf der Strecke, wie Ruhe, Kraft, Sinnlichkeit. Auch wenn ich nicht sicher bin, ob dieser Trend nur Frauen erfasst, spreche ich sie bei Gott nicht frei. Sie sind hier nicht nur Opfer“, so Fischer. Über absurde moderne Trends könnte sie noch stundenlang reden, doch die Künstlerin erzählt lieber wieder von ihren Theaterprojekten, die eine Gegenwelt schaffen sollten: Ab 15. März ist sie in dem Stück „Under Milk Wood“ von Dylan Thomas im Dekolta´s Handwerk in Wien-Leopoldstadt zu sehen. Es ist eine Sprachinstallation für Stimmen und Projekte. Fischers Stimme wird nicht zu überhören sein.

 

Lebenseckdaten: 

Noemi Fischer, in eine großbürgerliche Familie hineingeboren, aufgewachsen in Niederösterreich, früh ohne Mutter, die bei einem Autounfall ums Leben kam. Abgeschlossenes Germanistik- und Anglistik-Studium, Schauspieldiplom, Regisseurin und Schauspielerin, zwei Kinder und vier Enkelkinder.

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