Gebaut auf Wasser

Der Fischbestand im rumänischen Donau-Delta ist durch Verschmutzung und Überfischung gefährdet. Doch viele Fischer halten das uralte Handwerk des Fischens hoch und agieren so ökologisch, ganz ohne Bio-Zertifizierung.

Text: Eva Maria Bachinger
Foto:
Lisi Niesner & Georg Hochmuth

2015, Publiziert in Universum Magazin

Das Donaudelta liegt im Nebel. Alles ist grau in grau. Es ist mucksmäuschenstill, das Wasser ist düster und spiegelglatt. Unzählige Arme, Seen und Sümpfe durchziehen das große Gebiet: Die Donau kann sich nach ihrer langen Reise im engen Korsett durch halb Europa endlich weit ausbreiten. Die meisten Vögel sind über die Wintermonate in wärmeren Gefilden. Nur vereinzelt taucht ein Kormoran unter, zwei Pelikane gleiten gemächlich über das Wasser. Im Sommer ziehen die großen Vogelpopulationen Naturliebhaber in großer Zahl an.

Doch nun gibt es weit und breit keine Touristen. Die Fähre zwischen Tulcea und Sulina tuckert durch den Hauptarm, an Bord nur Einheimische, dick eingemummt, um sich vor der feuchten Kälte zu schützen. Das Delta gehört alleine den Wildpferden, den Kühen und Schweinen, die am Ufer der Flussarme grasen, den aufgeregt gackernden Hühnern, den streunenden Hunden sowie Katzen – und den stolzen Fischern. Octavian Grigoras und Adrian Makarenko machen sich noch vor der Morgendämmerung in ihrer einfachen Hütte im Schilf fertig. Sie sind ein eingespieltes Team, wenn sie in einer grünen Zille hinausfahren und die Netze auswerfen. Am nächsten Morgen, sobald es hell wird, holen sie die Netze wieder ein. Das Fangnetz ist das wichtigste Utensil, es muss gehegt und gepflegt, gesäubert und geflickt werden. Zum Trocken legen sie es ausgebreitet auf das Schilf.

Wenn sie sich dem 40 Meter langen Netz nähern, schaltet Octavian den Motor ab und rudert behutsam darauf zu. Adrian steht auf und holt routiniert das tropfende Netz aus dem Wasser: Mit der rechten Hand greift er vor, die Linke fasst nach. Heute haben sich zwei Hechtfische mit den Kiemen im Netz verfangen. Adrian befreit sie, nimmt einen kleinen Holzprügel und schlägt den Fischen zweimal kurz und gezielt auf den Kopf. Der dumpfe, hohle Schlag ist das einzige Geräusch in der Stille an diesem Morgen. Er wirft die Fische auf den nassen Bootsboden, auf dem sie kurz dahinschlittern. Währenddessen hält Octavian die schwankende Zille mit den beiden Rudern stabil. „Noch zehn von so einem Fisch in dieser Größe, dann ist es gut. Wenn es 20 werden, dann ist es ein wirklich guter Fang“, sagt er. Wenn es ein ertragreicher Tag ist, ziehen sie bis zu 60 Kilo Fisch an Land. Doch die Ausbeute bleibt heute mehr als dürftig: Nur insgesamt vier Fische holen sie aus den Netzen. Normalerweise fährt einer von ihnen zur Sammelstelle im Dorf Crisan um den Fang abwiegen zu lassen und zu verkaufen. Wenn sie aber so wenige Fische fangen, behalten sie sie für ihr eigenes Abendessen. Dann lohnt es sich nicht, nach Crisan zu fahren.

Konkurrenz durch Importe

Ihre Art zu fischen ist Jahrtausende alt, einmal vom Dieselmotor am Boot abgesehen. Sie achten auf die Fischbestände, auch aus eigenem Interesse, um nachhaltig die Populationen von Hecht, Karpfen, Zander und Wels zu sichern und damit ihr Einkommen und ihr Überleben im Delta. Doch seit 2007, dem EU-Beitritt von Rumänien, bekommen die Fischer harte Konkurrenz von importiertem Fisch aus Zuchtanlagen in Bulgarien und Griechenland. Er wird in Plastik abgepackt in den Supermärkten angeboten und viel billiger verkauft als der Wildfang aus dem Delta. Die Fischer haben deshalb zunehmend Schwierigkeiten, ihren Fisch überhaupt zu verkaufen bzw. zu einem angemessenen Preis.

„Wir haben hier das größte Delta Europas und wir importieren Fisch. Es ist zum Lachen, wenn es nicht so traurig für uns wäre“, meint Octavian.

Per Schiff wird der Fischfang von Crisan nach Tulcea weitertransportiert und im ganzen Land verkauft. Es gibt Fangquoten, auch Untergrenzen, damit die Fischer ihre Angelgenehmigung nicht verlieren. Wenn zu wenige Fische da sind, können sie nicht mehr fischen und riskieren, ihre Lizenz zu verlieren. „Nun feiern wir, wenn wir 60 Kilogramm Fisch pro Tag fangen, vor ein paar Jahren waren es oft mehrere Hundert Kilo“, schildert Octavian. Eine Ursache für den Schwund sehen die Männer in der Wilderei: Viele würden die Fische mit Hilfe von Strom töten, der ins Wasser geleitet wird. Diese Methode ist nicht besonders aufwendig und vor allem schnell – kein Vergleich zu der geduldigen Arbeit mit den Netzen, die zwischen Holzstöcken aufgespannt werden. Elektrofischen schädigt die Fischpopulationen: Die Stromschläge sind nicht für alle Fische in der Umgebung tödlich, aber beeinträchtigen sie so, dass sie sich nicht mehr fortpflanzen können. „Es gibt Behörden, die vorgeben aufzupassen, aber die Wilderer haben immer einen Informationsvorsprung. Sie wissen immer Bescheid, wann Kontrollen sind. Offenbar werden sie vorgewarnt“, meint Adrian.

Fehlender Überblick

Die Probleme mit Wilderei und Elektrofischen bestätigt auch Janos Szabolcs Botond Kiss, der Forscher am Nationalen Donau-Delta-Institut in Tulcea ist. Er lebt für das Delta und kennt es so wie gut wie kaum ein anderer. „Elektrofischen ist natürlich streng verboten, aber es gibt bisher keine Verurteilten deswegen“, so Kiss. Den Grund für die mangelnden Kontrollen und Strafen sieht der Experte ebenfalls in der Struktur: Sage und schreibe sieben Behörden sollten die Einhaltung der Gesetze im Reservat überprüfen. Doch zu viele Köche verderben den Brei: „Es ist zu kompliziert, die Politik verspricht seit Jahren eine Vereinfachung, aber da mehrere Ministerien betroffen sind, war das bisher offenbar nicht möglich.“ 1990 wurde Kiss selbst aktiv und rief eine Vereinigung von 100 Rangern ins Leben, die für Kontrolle und Ordnung sorgen sollten. „Das hat fünf Jahre gut funktioniert, doch ich wurde abgesetzt und die Anzahl wurde auf 30 Ranger reduziert. Sie können das riesige Gebiet nicht überblicken.“ Die Schutzbestimmungen seien grundsätzlich streng und gut, doch ohne Kontrolle und Sanktionen seien sie nicht das Papier wert, auf dem sie stehen. Sämtliche Vorschriften wie Schutzzeiten würden von Wilderern stetig übergangen, so Kiss. Der Zoologe berichtet, dass es auch schwierig sei, einen Überblick über den tatsächlichen Fischbestand zu haben. „Die Fischer geben einen Teil ihres Fanges ab, einen Teil nicht, bei der Übergabe wird wegen der Steuer manipuliert, der Besitzer der Sammelstelle meldet auch, was er will. Außerdem gibt es sehr viele Angler, Sportfischer und eben Wilderer. Deren Fang bleibt in der Statistik komplett unberücksichtigt.“ Die natürlichen Fischesser sind etwa Krähenscharbe, von denen es 15.000 Nistpaare gibt, sowie Rosapelikan mit 4200 Nistpaaren. Auch der Kormoran ist ein Konkurrent. Probleme bereiten auch der Algenbefall und die zunehmende Trockenheit im Delta. Sie bewirkt einen niedrigen Wasserstand, was auch eine Gefahr für die Fische darstellt. Zusätzlich setzt ihnen die Umweltverschmutzung zu: Schwermetalle, Düngemittel, Erdölrückstände, Haushaltsmüll und Plastikflaschen. Kiss ist gegen mehr Tourismus und Fischerei im Donaudelta. Es müsse noch viel mehr darauf geachtet werden, dass ein für die Natur erträgliches Maß eingehalten werde. Auch die Fischer plädieren für eine Beschränkung der Gesamtzahl der Boote sowie für leichtere und somit leisere Elektromotoren. Die lauten Motoren vieler Touristenboote stören das sensible Ökosystem. Sie zerschneiden oftmals auch die Netze, indem Boote über die Netze einfach hinwegfahren, obwohl die Standorte mit aus dem Wasser ragenden, langen Holzstangen gekennzeichnet werden.

Überfischung

Besonders Störe reagieren aufgrund ihrer geringen Anpassungsfähigkeit empfindlich auf physiologisch-ökologische Schwankungen. Ökologische Eingriffe in die Natur wie Wasserkraftwerke oder Dämme sind trotz Fischwanderhilfen wie Fischtreppen für viele Störe ein unüberwindliches Hindernis auf dem Weg zu ihren Laichstellen im Oberlauf der Donau. Die Populationen schrumpfen. Einige Störarten haben ihre Laichgebiete in die Küstengewässer des Schwarzen Meeres und in den Unterlauf der Donau verlagert. Nach dem Laichen kehren die Fische ins Meer zurück. Ein oder zwei Jahre später folgt ihnen die Brut ins Meer. Von Überfischung sind auch die Bestände von Hecht, Schleie, Wels und Zander betroffen. Die Fischer machen trotz vieler Widrigkeiten weiter, eben auch die junge Generation. Adrian und Octavian sind erst 31 und 25 Jahre alt und wandern nicht wie andere ab. Die Bevölkerung im Delta geht stetig zurück: 1970 lebten hier noch 21.000 Menschen, 2007 zählte man rund 8000. Ersichtlich ist der Schwund der Bevölkerung und vor allem der jüngeren Generation in vielen Dörfern. Häuser verfallen, Gärten verwildern, und in den Straßen sieht man oftmals nur alte Leute. 15 Prozent der Bevölkerung im Delta leben direkt vom Fischfang. Die Hände der Fischer sind gezeichnet von Arbeit: Tief in die Hornhaut eingedrungener Schmutz, Schwielen, eingerissene Fingernägel. Ein anderes Leben können und wollen sich die Männer nicht vorstellen: „Wir möchten am liebsten Fischer sein“, sagen sie. Adrians Bruder und Onkel sind auch Fischer.

Sein Vater war es ebenfalls. Er ist sogar im Delta bei der Arbeit gestorben, an einem Herzinfarkt. Ein Kreuz mitten im Schilf erinnert an ihn. Im Delta sind die Männer tagelang unter sich, weg von Frau und Kind. Es wirkt so, als ob ihnen das auch sehr angenehm ist, obwohl die Hütte in der Nähe des Sees Lacul Bogdaproste armselig ist und die Toilette sich draußen in einem windschiefen Verschlag befindet. Sie schlafen in Stockbetten, umgeben von Heiligenbildern, nur Petroleumlampen sorgen für Licht. Gekocht wird auf einer Feuerstelle am Ufer, meistens gibt es Fisch mit Erdäpfeln. Die Töpfe sind vom Ruß mittlerweile kohlrabenschwarz. An der Feuerstelle qualmt das nasse Holz. Adrian und Octavian sitzen am großen, mit einem Plastik-Tischtuch bedeckten Holztisch vor der Hütte. Octavian schält Erdäpfel, Adrian schaut auf das spiegelglatte Wasser und nimmt noch einen Schluck aus der Kaffeetasse mit selbst gemachtem Rotwein. Die spindeldürren Katzen streifen um den Tisch herum und hoffen auf Futter. Adrian wirft einen Fisch auf den Boden, die Katzen stürzen sich gierig darauf.

Land am Strome

Das Donaudelta, vor mehr als 10.000 Jahren entstanden, ist nach dem Deltagebiet der Wolga das zweitgrößte Mündungsgebiet Europas und die größte zusammenhängende Schilffläche der Welt. Es ist berühmt für seinen Artenreichtum, die UNESCO hat das Gebiet zum Weltnaturerbe erklärt. Etwa 70 Prozent des rund 5800 Quadratkilometer großen Gebiets steht unter Naturschutz. Nur 140 km2 werden nie überschwemmt. 82 Prozent des Deltas liegen in Rumänien, 18 Prozent in der Ukraine. Rund 5200 Tier- und Pflanzenarten sind im Delta heimisch, davon 325 Vogelarten; die größte Pelikanpopulation Europas ist hier anzutreffen. Der Vogelreichtum ist bekannt, weniger bekannt hingegen ist der Fischreichtum: Rund 110 Fischarten leben im Delta, darunter Karpfen, Schleie, Brasse, Barsch, Hecht, Zander, Rotfeder, Glattbutt und Wels. Besonders die Salzwasser- und Süßwasserstöre sind einzigartig, der bedeutendste Vertreter ist der Europäische Hausen. Zum Laichen verlässt er das Schwarze Meer und dringt zu den Laichstellen bis zum Eisernen Tor vor. Der Donauhering ist der wichtigste Wanderfisch der Region und kann bis zu 800 Gramm auf die Waage bringen. Der größte Süßwasserfisch Rumäniens ist der Donauwaller (Europäischer Wels; Silurus glanis), der bis zu drei Meter lang und 150 Kilo schwer werden kann.

Schutz der Störe

Bis zu 6000 Euro werden am Schwarzmarkt für ein Kilo „echten“ Kaviar aus wildlebenden Stören (Acipenseridae) gezahlt – eine Summe, die so manchen Fischer zum illegalen Fang von Stören verführt. Umweltgruppen kämpfen seit langem dagegen an und vermelden nun erste Erfolge. In einem dreijährigen EU-LIFE-Projekt hat der WWF versucht, bei Fischern Verständnis und Akzeptanz für Schutzmaßnahmen zu erreichen. Zudem wurde den Betreibern von Stör- Fischzuchtanlagen, Behörden und dem Handel Know-how weitergegeben – etwa wie man legalen Kaviar von illegalem unterscheiden kann. Mit acht Unternehmen in Rumänien und Bulgarien wurden kürzlich Abkommen zum Schutz der Störe unterzeichnet; so soll zum Beispiel verhindert werden, dass nicht-einheimische Hybrid-Stör-Arten aus Zuchtanlagen in die Donau gelangen. In einem weiteren LIFE-plus-Projekt sollen die Aktivitäten in Rumänien und Bulgarien weitergeführt und zudem auf die Ukraine und auf Serbien ausgeweitet werden. Fünf der sechs in der Donau vorkommenden Stör-Arten – die früher, vor dem Bau der Donaukraftwerke, bis in die obere Donau vordrangen – sind derzeit vom Aussterben bedroht. danube-sturgeons.org

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