Der Urwald fällt

Rumänien rodet. Ein Vertragsverletzungsverfahren von Brüssel zeigt bislang wenig Wirkung.

 

Text: Eva Maria Bachinger, Foto: Matthias Schickhofer, Rumänien 2020

Publiziert in Salzburger Nachrichten

Nicht nur Brasilien rodet seine Urwälder: Im EU-Land Rumänien, wo sich noch rund 500.000 Hektar ökologisch wertvolle Natur- und Urwälder befinden, sollen seit 1999 mindestens 110.000 Hektar verloren gegangen sein. Das berichten die NGOs Agent Green und EuroNatur in ihrem Bericht „Failing our Last Great Forests“. Selbst in Natura-2000-Schutzgebieten, UNESCO-Weltnaturerbe-Regionen sowie Nationalparks seien die Bäume nicht vor der Kettensäge sicher. Große Holzindustrien wie Kronospan, aber auch die österreichische Firma Schweighofer, sind in Rumänien aktiv. Sie betonen aber, sich strikt im Rahmen der Gesetze und Vorschriften zu halten.

Im Februar hat die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Rumänien eingeleitet. „Die illegalen Rodungen gehen allerdings unvermindert weiter“, kritisiert die grüne EU-Mandatarin Abgeordnete Viola von Cramon. Sie und weitere 83 Abgeordnete des Europäischen Parlaments haben in einem dringenden Appell die Kommission zu einem sofortigen Einschreiten aufgefordert. Aufhören müsse auch, dass Personen, die sich für den Schutz der Wälder in Rumänien einsetzen, mit Einschüchterungen, Drohungen und Gewalt zu leben haben. 

Davon weiß auch Gabriel Paun, Chef der Naturschutzorganisation Agent Green, zu berichten, der von unbekannten Tätern krankenhausreif geschlagen wurde und sich im rumänischen Spital so unsicher fühlte, dass er sich zur Behandlung lieber ins Wiener AKH überstellen ließ. Das bringt ihn aber nicht zum Schweigen: „Die Schlägerungen sind in Rumänien außer Kontrolle. Sie werden von der Regierung erlaubt und unterstützt.“

Viola von Cramon war im Sommer mehrere Wochen auf Besuch in den rumänischen Karpaten, um sich ein Bild zu machen. „Die Zerstörung der letzten Urwäldern Europas hat kaum vorstellbare Ausmaße angenommen“, stellte sie bestürzt fest. „Bei den Sägewerken stapeln sich die Stämme großer und alter Bäume. Jeden Tag rollen die Lastwagen auf die Werksgelände, beladen mit Tonnen Holz – häufig auch aus Gebieten, in den schon lange kein Einschlag mehr stattfinden dürfte“, sagt sie. Schneisen für den Holzeinschlag und den Abtransport hätten tiefe Spuren hinterlassen. Die Dimensionen seien riesig, betonte die Abgeordnete.

Das Thema ist seit Jahren auch im deutschsprachigen Raum medial präsent. Die SN unternahmen bereits 2014 einen Lokalaugenschein im Buchenurwald Semenic, in den Nationalparks Domogled und Retezat sowie in Campusel und berichteten über die legalen und illegalen Schlägerungen. 

Sei es das Vertragsverletzungsverfahren aus Brüssel oder weil die Corona-Pandemie als Thema vorherrschend ist und andere Probleme weniger beachtet werden: Es scheint, dass die Rodungen in den vergangenen Monaten sogar noch verstärkt worden seien, meint Gabriel Paun. 

Rumänien ist 2007 der EU beigetreten. Im Korruptionsindex von Transparency International rangiert das Land auf Platz 19 in der EU und auf Platz 70 weltweit. Bei der Achtung des Rechtsstaates stehe das Land vor „Herausforderungen“, stellte die EU-Kommission in ihrem Bericht im September fest.

In Bukarest regiert derzeit der konservative Ministerpräsident Ludovic Orban mit einer Minderheitsregierung. Sie hat der EU-Kommission hinter verschlossenen Türen bereits ihre Argumente vorgetragen. Doch offenbar war das nicht sehr überzeugend, denn die nächste Stufe im Vertragsverletzungsverfahren wurde eingeleitet. Das ist für Sven Giegold, Fraktionskollege von Cramon und Mitunterzeichner des Appells, keineswegs ausreichend: „Da seit dem offiziellen Beginn des Verfahrens die erforderlichen Maßnahmen nicht ergriffen wurden, bleibt nur, den Europäischen Gerichtshof einzuschalten“, betont er. Bereits Anfang August sei die letzte Frist abgelaufen, die Rumänien zur Umsetzung der EU-Schutzbestimmungen für die Wälder gesetzt worden sei. Giegold hält eine EuGH-Urteil für ein probates Mittel. „Dann drohen Strafzahlungen für jeden Tag, an dem der Holzeinschlag weitergeht.“

Seit 7. November ist in Rumänien ein neuer Umweltminister in Amt und Würden: der 40-jährige Mircea Fechet war bisher Staatssekretär im Ministerium und Rumäniens Vertreter bei der Europäischen Umweltagentur. Eine Bitte um Stellungnahme blieb bislang unbeantwortet. Im Frühjahr hat das Ministerium eine Bewaldungsaktion angekündigt: 50 Millionen Stecklinge sollen gepflanzt werden, um zumindest einen Ausgleich zu den illegalen Schlägerungen zu schaffen, hieß es. 

Ein Urwald ist damit allerdings nicht gerettet. Der zeichnet sich dadurch aus, dass er seit der kleinen Eiszeit vor 10.000 bis 6.000 Jahren vom Menschen unberührt geblieben ist.

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