Grüne Kraft
Was wollen wir von unseren Flüssen? Fast drei Jahrzehnte nach den Protesten gegen das Kraftwerk Hainburg plant der Verbund acht neue Wasserkraftprojekte an Mur, Inn, Donau und Salzach. Die Salzburg AG will die Mur im Oberlauf umleiten, die Tiwag forciert das Kraftwerk Kaunertal. Widerstand formiert sich eher nur lokal. Wasserkraft gilt heute als ökologisch und klimaneutral. .
Text: Eva Maria Bachinger
Publiziert in Salzburger Nachrichten
Der Fluss schlängelt sich durch das Tal. Er bildet Wasserbecken und Schotterbänke. Verschiedene Strömungen entstehen, das Wasser ist milchig von Eis und Schnee aus den Julischen Alpen. Das Ufer mit Bäumen und allerlei Getier ist ursprünglich, wild, altes Holz liegt herum. Man sieht wie weit das Wasser reichen kann, wie es mit dem Land spielt und es formt. Die Fella im Friaul ist ein naturnaher Fluss, zumindest im Oberlauf. Ein Fluss, der sich ausbreiten darf, ist in Mitteleuropa eine Seltenheit. Es gibt bei den großen Flüssen nur noch einzelne naturnahe Bereiche. Alle sind sie begradigt, kanalisiert, gezähmt: Donau, Inn, Salzach, Traun, Mur, Mürz. Mit den wilden Flüssen verschwanden aber auch viele Tier- und Pflanzenarten, vor allem die Dichte von Beständen hat abgenommen. Das blaue Herz Europas schlägt mittlerweile fast nur noch auf dem Balkan. Auf 36.000 wilde Flusskilometer kam die Studie der NGOs ECA-Watch und Euronatur. Zum Beispiel die Moraca in Montenegro, die in den Skutarisee mündet. Der längste Fluss Europas, der von der Quelle bis zum Meer durchgängig fließt, ist die Vjosa in Albanien. Solche großen, mäandernden Flüsse gibt es in Österreich kaum noch, deshalb hat sich auch der Blick verändert. In einem Zeitungsbericht ist von einem „Wasserschutzprojekt“ die Rede, obwohl ein Hochwasserschutzprojekt gemeint ist. Nicht das Wasser wird geschützt, sondern die Menschen vor dem Übermaß an Wasser. An anderer Stelle wird geschwärmt: „Die March ist ein sanfter Fluss, fast grün im Ton, umrandet von dichten Auwäldern, voll von langen, schweren Karpfen und Hechten“. Unerwähnt bleibt, dass der Fluss großteils zwischen zwei Dämme wie ein Kanal eingezwängt ist und die Zugänge zur Au oft ausgetrocknet sind, sprich ein Auwald verschwindet, wenn es kaum mehr Verbindungen mit dem Fluss gibt. Die Aufregung ist groß, wenn Flüsse nach starken Regenfällen Hochwasser-Katastrophen wie 2002 auslösen. Doch die Ursache dafür ist nicht nur starker Regen, sondern auch die Regulierung und das Zubetonieren der Landschaft: „Das Wasser kann nicht mehr versickern, wir haben die Flüsse begradigt, ihnen alle Stauräume genommen, und statt Wald, der sehr viel Wasser aufnehmen kann, haben wir im besten Fall Landwirtschaft, im schlechtesten Fall Beton. Außerdem rücken wir immer näher an die Flüsse heran – wir lassen ihnen keinen Spielraum mehr“, sagt die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb.
Grillen statt Rafting. Es gibt vereinzelt einen Rückbau der Flussregulierungen wie bei Hainburg an der Donau, doch im oberösterreichischen Machland glaubt man, dass ein 36 Kilometer langer Damm vor Hochwasser schützt. Der grüne Landesrat Rudi Anschober nennt solche Projekte „Teil einer Anpassungsstrategie an die Klimaveränderung“. Nun sind zwar im Machland sieben Gemeinden geschützt. Doch je höhere Dämme man baue, desto größer werde die Gefahr für Orte weiter flussabwärts, sagt der Ökologe Ulrich Eichelmann. Der Energieversorger Verbund betreibt mehr als hundert Wasserkraftwerke in Österreich und plant acht neue Projekte an den Flüssen Inn, Donau, Mur und Salzach. Man setzt deutlich auf ein grünes Image: Die neuen Kraftwerke sollen für tausende Haushalte „sauberen Strom“ liefern, „aus Ihrer Region“. Die Salzburg AG will die Wehranlage zwischen Ramingstein und Tamsweg an der Mur im Lungau 300 Meter flussabwärts verlegen. Ein Großteil des Wassers wird in einen Druckstollen durch den Berg abgeleitet, in der Mur verbliebe demnach weniger als ein Viertel des derzeit ohnehin niedrigen Wasserstandes. Die Plattform „Lebensader Mur“ leistet dagegen massiv Widerstand. „Für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen sind theoretisch Biomasse, Wasser, Wind, Erdwärme und Sonne verfügbar. Die Sonne liefert bessere Erträge im Süden Europas, der Wind im Norden bzw. in Küstennähe. Salzburg kann die Energiewende am effizientesten erreichen, wenn Wasserkraft weiter ausgebaut wird“, argumentiert August Hirschbichler, Vorstandssprecher der Salzburg AG. Das Land Salzburg will bis 2050 unabhängig von fossilen Energien sein. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir Verzicht üben. Rafting sei in einem der letzten naturnahen Mur-Abschnitte nicht mehr möglich, dafür aber Grillen und Radeln am Ufer, tröstet die Salzburg AG. Der Bestand an ausgewachsenen Fischen werde zurückgehen, die Artenvielfalt sich aber erhöhen, ist man sich sicher. Der Grund für den Ausbau ist die Energiestrategie 2010 der Bundesregierung, die einen Beitrag der Wasserkraft von 3,5 Terawattstunden pro Jahr zur Erreichung der erneuerbaren Energie-Ziele bis 2020 vorsieht. Umweltminister Nikolaus Berlakovich wirbt – mit Einschränkungen – für den Ausbau von Wasserkraft, die „einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz“ leiste. Gleichzeitig bestehe aber der Anspruch, Gewässer in ihrem Zustand zu erhalten und nicht zu verschlechtern: „Einen Ausbau der Wasserkraft sollte es daher nur dort geben, wo dies ökologisch verträglich ist.“ Wolfgang Syrowatka vom Verbund: „Der Energieeinsatz, der für die Errichtung von Anlagen notwendig ist, wird durch die CO2-freie Erzeugung oftmals schon im ersten Betriebsjahr ausgeglichen. Der Verbund erspart der heimischen Klimabilanz rund 20. 000 Kilo-Tonnen CO2 durch den Schwerpunkt Wasserkraft. “
In Österreich hat Wasserkraft hat eine hohe emotionale Bedeutung. Richtig stolz war man früher darauf, die Flüsse gezähmt zu haben. Das Kraftwerk Kaprun, 1955 eröffnet, ist ein Symbol des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. Ulrich Eichelmann von Eca-Watch sieht in Wasserkraft-Projekten dagegen eine der schlimmsten Formen der Energiegewinnung. Er kritisiert besonders das Wegschauen der Zivilgesellschaft. Selbst die Grünen, die sich 1984 aus dem Widerstand gegen Hainburg formiert haben, bekennen sich zu einem naturverträglichen und strategischen Ausbau der Wasserkraft. „Dabei muss es aber eine klare Priorität für Effizienzsteigerungen bestehender Kraftwerke vor der Erschließung neuer Flussabschnitte geben“, sagt Umweltsprecherin Christiane Brunner. „Bei Neuerschließung muss darauf geachtet werden, dass die letzten Flussjuwele Österreichs geschützt werden. Derzeit verläuft der Wasserkraftausbau unkoordiniert und beruht auf überzogenen Vorstellungen der Energiewirtschaft.“ Brunner plädiert deshalb für einen Nationalen Masterplan Wasserkraft.
Wenig bekannt sind Folgen des Staudammbaus, die Experten sorgenvoll beobachten. „Östlich von Wien fehlt das gröbere Schotter-Material. Es kommt dadurch zu einer Eintiefung der Donau: Der Fluss trägt die Sohle zwei Zentimeter pro Jahr ab, obwohl der Verbund beim Kraftwerk Freudenau jährlich 200. 000 Kubikmeter Schotter zugibt. Ohne dieser Zugabe wären es drei Zentimeter. Wir befürchten, dass es auf einer Strecke von neun Kilometern zu einem Durchschlag der Sohle kommen könnte, was verheerende Folgen für die Donau-Schifffahrt hätte. Im Worst Case könnte sich eine 80 Meter breite und zehn Meter tiefe Rinne bilden. Der Nationalpark Donauauen ist jetzt schon massiv betroffen, durch das Absenken des Grundwassers könnte die Au in 100 bis 150 Jahren ausgetrocknet sein“, warnt beispielsweise Helmut Habersack von der Universität für Bodenkultur. Auch die Salzach gräbt sich immer tiefer ein, weil durch Staudämme zu wenig Kies nachkommt. 2002 kam es im Freilassinger Becken zum lange befürchteten Sohldurchschlag. Der Grundwasserspiegel sinkt und der Fluss wird immer mehr von der Au getrennt. Die Sanierung kostete 400 Millionen Euro. Nun sind Großprojekte wie der Ilisu-Staudamm in der Türkei fataler als Projekte in Österreich. Doch das den SN vorliegende Gutachten der Tiroler Umweltanwaltschaft (TUA) zum Kraftwerksprojekt Kaunertal zeigt, wie mit Wildflüssen umgegangen wird: Im Antrag auf Umweltverträglichkeitsprüfung werde von Seiten der Tiwag „ein irreführendes Bild über die Ausgangslage gezeichnet“, heißt es darin. Es sei „schlichtweg falsch“, dass sämtliche Schutztatbestände und die Alpenkonvention eingehalten würden. Die Umweltanwälte gehen davon aus, dass es zu „schwerwiegenden und unvertretbaren“ Auswirkungen kommt: „Ein einzigartiges Hochtal, das Platzertal, mit seinem mäandrierenden Bachlauf, seinen großflächigen Moorkomplexen und seinen Lebensräumen für geschützte Tierarten wird zerstört werden“. Das eigentliche Dilemma wird viel zu wenig angesprochen: Der Stromverbrauch ist laut Umweltbundesamt seit 1990 jährlich um zwei Prozent gestiegen. Um einen weiteren Ausbau von Wasserkraftwerken zu verhindern, müsste also tatsächlich vor allem der Stromverbrauch gedrosselt werden.
Im Aaresäckle durch Bern
Alt und Jung schwimmt: Der Rhein und die Aare in der Schweiz sind beliebte Badeflüsse.
Der Braunbär putzt sich seelenruhig seine Tatzen. Die Badenden, die in der türkisblauen Aare vorbeischwimmen, beachtet er nicht. Die Strömung ist stark, die Schwimmer kommen rasch voran. Manche jauchzen und lachen, andere lassen sich genussvoll treiben. Alle paar Meter sind rote Geländer montiert, an denen man ins Trockene klettern kann. In der schmucken Schweizer Hauptstadt Bern ist das Aare-Schwimmen der Sommerhit und so normal wie die Braunbären im sogenannten Bärengraben mitten im Stadtzentrum. Sobald die Temperaturen steigen, holen die Berner die wasserdichten Schwimmtaschen, die Aaresäckle, hervor. Kleidung, Geldtasche, Mobiltelefon werden in den Sack gepackt und los geht´s! Am vergnüglichsten ist das Baden ab mittags, weil sich dann das Wasser erwärmt hat, zwar auch nur auf 18 Grad, aber immerhin. Schließlich kommt die Aare aus dem nur 100 Kilometer entfernten Aare-Gletscher. Vorbei geht es an Häusern, Cafés, Sonnenbadenden, mitten durch die Stadt. Ein sanftes Knistern begleitet das Baden: Kieselsteine werden durch die Strömung mitgeschleift und verursachen das Geräusch. Seit diesem Sommer sind die empfohlenen Badeplätze und Einstiegsstellen in die Aare sogar auf dem Stadtplan eingezeichnet. Die Verwegenen springen von Brücken in den Fluss. Verboten ist das nicht, doch von den ganz großen Brücken rät die Stadtgemeinde dringend ab. Das Schwimmen erfolgt generell auf eigene Gefahr. Die Stadt macht in Broschüren auf Gefahren wie Strömungen aufmerksam.
Im Sommer sitzen also die Berner in Badekleidung in Bars und Cafés oder flanieren am Flussufer. Sie schwimmen in Gruppen oder allein, mit Luftmatratze oder auch im Schlauchboot. „In die Aare geht jeder – ob jung ob alt, ob Einheimischer oder Tourist, ob mittags oder abends. Wenn es im Sommer heiß ist, sieht man zu fast jeder Tageszeit Menschen entlang der Aare laufen und schwimmen“, erzählt Edith Hartmann, die um die Ecke in der Altstadt wohnt. In der Aare wird seit Menschengedenken gebadet. Das größte Flussbad in der Schweiz, das Marzilibad, wurde in Bern 1782 eröffnet. Für den Tourismus ist der Bergfluss ein wichtiger Magnet. „Das Schwimmen in der Aare ist ein wunderbares und einmaliges Erlebnis – nicht viele Hauptstädte können durchschwommen werden“, sagt Markus Binder von der Stadt Bern. Ein Hauptgrund ist nicht nur die Sauberkeit des Wassers, sondern auch die Tiefe von mehr als drei Metern.
Der Rhein in Basel ist breiter und nicht so klar wie die Aare, Schwimmen aber auch hier ein Volkssport. Man sollte sich eher in Ufernähe aufhalten, denn im Rhein verkehren auch größere Schiffe. Deshalb benutzen viele Schwimmer bunte Schwimmsäcke, um von den Schiffen früh genug gesehen zu werden. Pro Tag lassen sich mehrere Hundert Personen mit den Fluten treiben. Das Springen von den Brücken ist nicht erlaubt. „Insbesondere die jüngere Generation lässt sich dieses Erlebnis nicht nehmen. Mir ist aber nicht bekannt, dass Strafen ausgesprochen wurden“, sagt Sabine Horvath von der Stadt Basel. Für die Stadt ist das Flussschwimmen wichtig in den auslastungsschwachen Monaten Juli und August. „Für viele ist es kaum vorstellbar, dass man in einem Fluss durch eine Stadt schwimmen kann“, meint Christoph Bosshardt von Basel Tourismus. Das Staunen angesichts der fröhlich Badenden ist mitunter groß.
„So sind Flüsse nie gewesen“
„Climate Crimes“ heißt der Dokumentarfilm des Umweltaktivisten Ulrich Eichelmann, der demnächst im ORF zu sehen ist. Der Naturschützer vermisst den Widerstand gegen ökologisch bedenkliche Wasserkraftprojekte unter dem Deckmantel „Klimaschutz“, die vor 20 Jahren noch undenkbar gewesen wären. Im Wiener Burggarten plätschert das Wasser: Da ein Brunnen, dort ein Teich. Ulrich Eichelmanns Blick ist geschärft, er sieht sofort den Müll im Wasser. Alu-Dosen schwimmen am Uferrand und trüben das idyllische Bild mit Enten und Spaziergängern. Eichelmann setzt sich seit 30 Jahren leidenschaftlich für den Schutz des Wassers ein, besonders für Flüsse.
SN: Woher kommt diese Leidenschaft für Flüsse?
Eichelmann: Wahrscheinlich aus der Kindheit. Ich bin in Westfalen an einem Bach aufgewachsen. Mein Vater hat dort noch schwimmen gelernt und Fische gefangen. Mich haben Flüsse schon immer fasziniert. Da fühle ich mich wohl, und ich habe das Gefühl, da kann mir auch nichts passieren. Doch leider wird Flüssen viel Platz weggenommen, durch Straßenbau, Siedlungsbau und eben Staudämme. Die Leute wissen gar nicht mehr, wie ein naturnaher Fluss aussieht. Wenn Kinder einen Fluss zeichnen, zeichnen sie eine mehr oder weniger gewundene Linie, am Rand ein paar Bäume. So sind Flüsse aber nie gewesen. Wir haben kanalisierte Flüsse. Da gibt es Vögel und Fische, aber es ist kein Vergleich zu dem, was einmal war. Ursprüngliche Flüsse reißen bei Hochwasser Ufer weg, da fallen Bäume ins Wasser, es gibt tiefe Stellen, wo große Forellen stehen, Schotterbänke, Inseln, verschlammte Flächen, Nebenarme, Buchten. Das ist Fluss. Und Fluss und Au, das gehört zusammen, doch das ist bei uns weitgehend entkoppelt.
SN: Gibt es in Österreich keine natürlichen Flüsse mehr?
Eichelmann: „Natürlich“ gibt es fast nicht mehr, nur noch bei Oberläufen, die aus dem Gletscher kommen. Die Isar, Lech, die Pielach, die Mur in Salzburg haben naturnahe Bereiche. Die Vogel- und Fischarten, die auf Flüsse angewiesen sind, finden dort Zuflucht. Die Donauauen bei Hainburg sind ein naturnaher, wertvoller Abschnitt, aber keine natürliche Au mehr. Das sind 40 Kilometer Oase in einer ansonsten völlig degradierten Donau. Die Donau hat auf den ersten tausend Kilometern vom Schwarzwald bis Bratislava 58 Staudämme und die Zuflüsse sind auch voller Staudämme.
SN: Aber wir können ja nicht mehr zurück zum Zustand vor Jahrzehnten.
Eichelmann: Ja, aber man kann an Teilstrecken Regulierungen abreißen, und es sollte kein einziges Wasserkraftwerk mehr gebaut werden. Schützen und verbessern, das hilft allen, der Natur und den Menschen.
SN: Was ist so schlimm an der Stauung und Regulierung?
Eichelmann: Die Donau war mit den Nebenarmen bei Wien fünf Kilometer breit, nun ist sie reguliert auf 280 Meter. Man verengt einen breiten, flachen und vielfältigen Lebensraum aufs Ärgste. Hat der Fluss mehr Platz bei Hochwasser, bleibt er flacher und fließt langsamer. Die Regulierung schnürt zusammen: Die Welle wird höher, dadurch wird das Gefälle steiler und das Wasser fließt schneller. Ich produziere also eine Verschärfung der Hochwassergefahr. Es werden dann immer höhere Dämme gebaut, das engt den Fluss noch mehr ein und für jene, die weiter flussabwärts leben, wird die Gefahr größer. Mehr Wasser kommt mit einer größeren Wucht. Ich dachte, dass das längst in den Köpfen der Politiker ist. Aber es ist frustrierend: Der Protest gegen Hainburg war 1984. Ich habe an hunderten Veranstaltungen teilgenommen und erklärt, wie wenig sinnvoll ein Staudammbau ist. Und nun 2012 führen wir noch ganz genau dieselben Diskussionen mit denselben Argumenten. Die „grüne“ Klimapolitik dient als perfekter Deckmantel. Die Leute gewöhnen sich daran und am Ende paddeln sie im Stausee und sind auch happy. Das ist meine Lehre aus den letzten Jahren: Nachhaltigkeit gibt es nur dann, wenn man die letzten naturnahen Gebiete unter juristischen Schutz stellt. Sonst gibt es zu viele Begehrlichkeiten, da ist jedes Mittel recht. Früher haben sie gesagt: Versorgungssicherheit. Nun sagen sie: Klimaschutz. Das ist ein Missbrauch. Viele glauben, Wasserkraft ist grün, also ist es gut. Andere sagen, naja, besser als Atomkraft.
SN: Aber ist es nicht auch so?
Eichelmann: Das war und ist nie so: Sie hätten Zwentendorf und Hainburg gebaut. Aber sollte es so sein, würde ich immer noch sagen, nicht alles was besser ist als das Schlimmste, ist gut. Wasserkraftwerke gehören zu der schlimmsten Energiegewinnung, weil sie einen Fluss unterbrechen und auch flussabwärts gravierende Folgen haben. Der Tigris etwa hat im Frühjahr Hochwasser, bis in den Irak, wo er auf den Euphrat trifft und ein Gebiet so groß wie Niederösterreich überschwemmt. Der Staudamm Ilisu in der Türkei soll dieses Hochwasser zurückhalten und speichern. Jetzt hängen aber sechs Millionen Menschen am Tigris, die vom Fischfang leben und ihn für die Bewässerung brauchen. Ein Staudamm kann also auch tausend Kilometer strahlen, nicht in die Breite, aber linear. In der Türkei sind rund 1700 Staudammprojekt geplant. Oder: Im Iran gibt es den Urmiasee. Der Wasserspiegel ist durch die Stauung der Flüsse gesunken, rund um diesen Salzsee bilden sich Salzkrusten. Bei Sturm wird das Salz in die Landschaft geblasen. Acht Millionen Menschen leiden darunter, weil ihre Landwirtschaft versalzt.
SN: Das hört sich alarmierend an. Aber wie soll man Klima schützen, wenn nicht auch mit Wasserkraft?
Eichelmann: Ich bin natürlich nicht gegen Klimaschutz per se. Es gibt nur viele Fehlentwicklungen. Vieles wird als Klimaschutz verkauft und beschleunigt in Wahrheit die Zerstörung der Natur. Das klingt deprimierend, aber es ist der erste Schritt, um zu Lösungen zu kommen. Wir leben in einer globalisierten Welt und verengen unsere Sichtweise auf unseren Garten. Was wir tun, hat Auswirkungen. Wenn man ein Auto kauft, ist der Bauxit für die Aluminiumerzeugung wahrscheinlich aus Brasilien, Staudämme liefern den Strom für die Produktion, und am Ende fahren wir mit Biosprit und sagen: Super! Es ist wichtig, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, vor allem auch für die Zivilgesellschaft. Das Problem ist das Prinzip Wachstum. Dafür rauben wir die Natur unglaublich aus. Wenn sieben Milliarden Menschen unseren Lebensstandard haben sollen, dann gute Nacht. Wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir unseren Lebensstandard reduzieren, den Konsum, diese ewigen Reisen, die aufwändige Telekommunikation. Wir drehen uns immer schneller, ohne glücklicher zu werden, und ruinieren immer schneller die Natur.
SN: Ist der Verzicht auf Gewohnheiten überhaupt möglich?
Eichelmann: Ich weiß es nicht. Aber wenn wir in Österreich alle Flüsse verbauten, würden wir nur den Stromverbrauchszuwachs für die nächsten fünf Jahre abdecken. Ich empfinde mich als Weltenbürger und sehe es als mein Recht, beim brasilianischen Energieminister die Erhaltung des Amazonas einzufordern. Der Finanzmarkt ist globalisiert, der Staudamm Belo Monte wird von internationalen Konzernen gebaut. Doch der Naturschutz ist provinzialisiert. Die UNO muss einen weltweiten Masterplan für die Natur machen. Wenn man riesige Gebiete wie Amazonien oder Alaska nicht schützt, werden wir viele Arten nur noch im Zoo sehen.
SN: Am Balkan gibt es noch natürliche Flüsse. Sind Sie auch bedroht?
Eichelmann: Ja, derzeit sind, wenn man nur die größeren Projekte rechnet, 587 Staudämme von der Wasserkraftlobby zusammen mit der Bauwirtschaft und Banken geplant. Sie sind komplett rücksichtlos und planen auch Projekte in Nationalparks wie im Mavrovo in Mazedonien. Wir haben einen Vorschlag: Wir schauen uns an, welche Flüsse tabu sind und an welchen man bauen kann. Aber das wird bis jetzt nicht akzeptiert, deshalb hoffen wir stark auf die EU, denn diese Länder wollen in die Europäische Union.
SN: Wollen wir von den Flüssen vor allem Energie?
Eichelmann: Sieht so aus. Natur war lange ein Wert für sich. Der Seeadler hat ein Recht auf Existenz, der Biber, der Frauenschuh. Das hat sich geändert. Natur ist nur als Dienstleister wertvoll für Menschen. Unsere Sichtweise ist sehr anthropozentrisch. Wenn man heute sagt, man ist Naturschützer, ist es nicht gut. Umweltschützer ist besser.
Ulrich Eichelmann ist Ökologe und engagiert sich seit mehr als 20 Jahren für den Naturschutz. Von 1990 bis 2007 war er beim WWF Österreich und koordinierte mehrere Kampagnen gegen Staudammbauten und Naturzerstörung. Seit einigen Jahren leitet er die „Stop Ilisu Kampagne“ und die NGO „ECAWatch Österreich“. Der Dokumentarfilm „Climate Crimes – Umweltverbrechen und Vertreibung im Namen des Klimaschutzes“ ist demnächst im ORF zu sehen.