Danijel und Gertrude

Der Pflegebereich ist nach wie vor Frauensache. Doch langsam interessieren sich auch Männer dafür. Danijel, ursprünglich aus Serbien, ist ein Beispiel für einen neuen, erfrischenden Zugang. Das freut auch die 80jährige Gertrude. 

Text: Eva Maria Bachinger, Fotos: Karin Wasner, Wien 2020

Publiziert in MO-Magazin für Menschenrechte.

Sie wirken wie Enkelsohn und Großmutter: die 80-jährige Gertrude und der 25-jährige Danijel. Am Wohnzimmertisch in der kleinen Gemeindewohnung von Gertrude sitzen sie bei Kaffee und selbstgebackenen Rehrücken-Kuchen. Danijel ist Heimhelfer und Gertrude hatte vor eineinhalb Jahren einen Lungeninfarkt: „Meine Lunge ist zusammengesackt wie eine Harmonika“, erzählt sie, „und dann war ich von Februar bis August im Spital.“ Seitdem kommt Danijel als Mitarbeiter der Wiener Sozialdienste zweimal die Woche zu ihr – und sie ist sehr froh darüber. Er hilft ihr beim Einkaufen, im Haushalt und holt Medikamente von der Apotheke. „Es geht bei meiner Arbeit aber auch um Kommunikation“, sagt er. „Und da meine ich nun nicht nur Guten Tag und auf Wiedersehen zu sagen, sondern auch über Sorgen oder Alltagsthemen zu reden.“ „Oder über rasierte Männer“, wirft Gertrude lachend ein und zeigt auf Danijels Dreitagebart. Gertrude hat fein säuberlich manikürte, rot lackierte Fingernägel, ein schwarzer Haarschopf ziert ihr sorgfältig frisiertes, weißes Haupthaar. „Das mache ich oft noch alles selbst“, betont sie sichtlich stolz. Seit Beginn der Corona-Krise verbrachte Gertrude die Zeit ausschließlich in der Wohnung, acht Wochen lang. Sie vermisste Danijel. Anfang Mai konnte er sie wieder betreuen. Der erste Spaziergang führte Gertrude zur Maniküre und zum Friseur. 

 

Der Pflegebereich, der ohnehin händeringend nach Personal sucht, ist durch Corona gehörig unter Druck gekommen. Danijel wurde vom Wiener Sozialdienst der „Corona-Gruppe“ zugeteilt: Das sind MitarbeiterInnen, die im Auto in ganz Wien unterwegs sind, um Personen mit möglicher Corona-Infektion oder auch solche, die daran erkrankt sind, zu betreuen. Es ist dieselbe Betreuungs- und Pflegetätigkeit zu verrichten, allerdings in kompletter Schutzausrüstung. „Jetzt wird es etwas besser, aber vor zwei, drei Wochen war sehr viel zu tun. Bis zu 13 Stunden war ich im Einsatz. Unter dem Schutzanzug ist es sehr heiß, das ist anstrengend, vor allem das An- und Ausziehen.“ An Demenz erkrankte KlientInnen staunen nicht schlecht, wenn „eine Art Astronaut“ vor ihrer Tür steht. „Was wollen Sie, wer sind Sie?, fragen sie verdutzt oder verängstigt“, schildert Danijel. „Es ist schwierig, ihnen die Lage zu erklären. Sie wissen ja nichts vom Virus und vergessen alles auch gleich wieder. Sie hören oft schlecht und unter der Schutzmaske ist das Sprechen nicht so leicht.“ Zudem müssen auch die KlientInnen beim Einsatz eine Maske tragen, wovon sie mitunter schwer zu überzeugen sind. 

 

„Männer waren bisher in der Pflege eine Rarität, seit einiger Zeit nimmt ihr Anteil aber zu“

bestätigt Anastasia Knoll, Pflegedienstleiterin bei den Wiener Sozialdiensten.

 
 

Bisher Hahn im Korb 

Um das Pflegepersonal zu unterstützen, werden in dieser Situation auch Zivildiener eingesetzt. Ende März wurde der Zivildienst für 1.500 Männer um drei Monate verlängert, seit April stehen zusätzlich 3.000 Männer im außerordentlichen Zivildienst zur Verfügung. Im Bereich der Altenbetreuung und in Krankenanstalten lag der Anteil der Zivildiener 2019 bei rund 17 Prozent. Schon vor der Corona-Krise fiel auf, dass sich mehr Männer für den Pflegebereich interessieren. „Männer waren bisher in der Pflege eine Rarität, seit einiger Zeit nimmt ihr Anteil aber zu“, bestätigt Anastasia Knoll, Pflegedienstleiterin bei den Wiener Sozialdiensten. Das macht sich bisher vor allem in den Ausbildungskursen bemerkbar, der männliche Anteil stieg im vergangenen Jahr auf 16 Prozent. Das Rote Kreuz bestätigt diese Tendenz. Auch Danijel bemerkt diese Entwicklung: „Ich war bisher der Hahn im Korb, aber jetzt kommen mehr Männer. Diesen Beruf können nicht nur Frauen, genauso wie Automechaniker nicht nur Männer sein können.“ 

Danijel wurde in Serbien geboren, im Alter von neun Jahren kam er mit seiner Familie nach Österreich. Die Familie folgte den Großeltern, die 1972 als „Gastarbeiter“ ins Land geholt wurden. „Es war ein ziemlicher Einschnitt. In der Schule in Serbien lernte ich die kyrillische Schrift. Hier habe ich dann auch alle Aufgaben in kyrillischer Schrift geschrieben, und alles durchgestrichen zurück bekommen. Da habe ich erfahren, dass man hier die lateinische Schrift verwendet“. Heute kann er darüber lachen. Nach der Hauptschule besuchte er zuerst die HTL für Elektrotechnik, aber das war einfach nicht „sein Fach“. Als seine Großeltern einmal im Krankenhaus waren, hatte er sich gefragt, warum man krank wird, warum man, wenn man alt ist, nicht mehr so leicht aufstehen oder sich bücken kann. Schließlich brach er die HTL ab und absolvierte eine dreimonatige Ausbildung bei den Wiener Sozialdiensten. „Meine Eltern haben gemeint: Wie soll das gehen, du weißt doch gar nicht, was auf dich zukommt. Als Mann war das natürlich ungewöhnlich. In Serbien kennt man nur Krankenschwestern, Männer sind Ärzte. Doch entweder macht man etwas gerne oder nicht.“ Mittlerweile arbeitet er seit fünf Jahren als Heimhelfer und ist bei KollegInnen und KlientInnen beliebt. Seine Eltern sind heute stolz auf ihn. Auch Danijels 69jährige Großmut- ter, die wieder in Serbien lebt, ruft ihn öfters an und fragt bei diversen Wehwehchen um Rat.

Das Wort „Danke“ 

Doch was ist seine Motivation? „Mich fasziniert das Wort Danke. In den Wohnungen ist oft wenig Platz, im Sommer ist es heiß, man arbeitet oft sehr schwer. Wenn sich die Klienten bedanken, dann ist das Schwierige vergessen. Denn dieses Dankeschön der alten Menschen kommt aus tiefster Seele. In vielen anderen Berufen bekommt man nur Geld.“ Gelernt hat er auch, dass es nicht nur gute und böse Menschen gebe, sondern „tausend verschiedene“. Und: „Als ich jünger war und gehört habe, der ist 56 Jahre alt, dachte ich, oh, ist der alt. Heute akzeptiere ich den Begriff „alt“ nur bei 85 und 90.“ Gertrude hört ihm aufmerksam zu und meint lachend: „Da sind wir noch nicht dabei.“ Danijel will sich in Zukunft gerne weiterbilden, vielleicht auch noch die Ausbildung zum Krankenpfleger machen. Dafür wird Matura verlangt, er würde sie nachholen. „Dann wirst Du wieder Schüler und gehst mit der Tasche“, meint Gertrude lachend. „Jetzt geh ich auch schon mit der Tasche!“, erwidert Danijel. Am Anfang war Gertrude skeptisch, dass ein Mann als Betreuer kommt, doch nun stört es sie nicht mehr, ganz im Gegenteil: Es ist ihr sogar lieber, wenn Danijel kommt. „Als Hausfrau muss man schon wissen, wie man zusammenkehrt, aber die anderen kehren oft nur mit einer Hand. Dem Danijel brauch ich nicht viel zu erklären, er weiß schon alles.“ Gertrude war 30 Jahre lang Hausbesorgerin im Gemeindebau, verheiratet und Mutter zweier Töchter. „Ich habe keine Enkerl, aber ich habe Danijel. Vor einem Jahr ist eine meiner Töchter gestorben, im Alter von 59 Jahren. Mein Mann ist vor drei Jahren gestorben. Die letzten Jahre haben mir sehr viele Nerven gekostet“, sagt sie bedrückt. 

 

Sprachkurs für Wienerisch 

Allenthalben wird nun den „Helden und Heldinnen“ in der Pflege gedankt, vom Bundeskanzler abwärts. Ob das auch langfristig zu einer Aufwertung dieser Aufgabe führt, bleibt abzuwarten. Wenn Männer in bisher weibliche Berufsbranchen nachrücken, erfahren diese zumeist eine Aufwertung, sowohl im Ansehen als auch bei der Bezahlung. Doch dieser Entwicklung Beachtung zu schenken ist wie Karenzväter an Spielplätzen besonders zu huldigen. Allerdings ist offensichtlich, dass sich die Geschlechterrollen im Wandel befinden. Auch die türkis-grüne Regierung hat sich in ihr Programm geschrieben, nicht nur technische Berufe für Frauen attraktiver zu machen, sondern auch Pflege- und Careberufe für Männer. Das ist auch nötig: Die Caritas geht davon aus, dass bis zum Jahr 2050 mehr als 50.000 zusätzliche Pflegekräfte nötig sind. Beim Wiener Sozialdienst ist auch bemerkbar, dass aufgrund verbesserter Lebensbedingungen etwa in der Slowakei weniger Pflegerinnen kommen als früher. Also muss vermehrt im Inland rekrutiert werden. Wichtig ist nicht nur, Interessierte für den Pflegeberuf auszubilden, sondern sie auch im System zu halten. Um das zu erreichen, wird man nicht daran vorbeikommen die, Bedingungen zu verbessern. „Da geht es nicht nur um eine bessere Bezahlung von Pflegearbeit, sondern auch darum, wie wird Flexibilität honoriert, wie achtet man auf eine Work-Life-Balance oder ob Pflegekräfte Fortbildungen besuchen können“, betont Ursula Frohner, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes. Viele beginnen die Ausbildung und merken erst beim Praktikum, was es wirklich bedeutet, zu pflegen. Bei MigrantInnen sei zudem die mögliche Sprachbarriere zu beachten. Gerade bei alten Menschen ist der Dialekt ein Thema, Flüchtlinge und MigrantInnen lernen in Sprachkursen aber Deutsch als Hochsprache. Bei den Wiener Sozialdiensten hat man darauf bereits reagiert: Da wird nun auch Wienerisch gelehrt. Das Personal ist bunt gemischt, die MitarbeiterInnen kommen aus 52 Nationen, auch aus Irak, Afghanistan, Syrien oder Eritrea. Auf die Vielfalt sei man stolz, betont Pflegedienstchefin Knoll. 

Worin besteht aber der Vorteil, wenn mehr Männer in Pflegeberufen tätig sind? „Die Teams sind gemischter. Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen, es ist wichtig in herausfordernden Situationen voneinander lernen zu können“, erklärt Knoll. Expertin Frohner begrüßt es grundsätzlich, wenn mehr Männer Interesse zeigen, aber sie vermutet, das Interesse werde sich dennoch in Grenzen halten: „Denn manche Religionen oder gelebte, gesellschaftliche Strukturen im Herkunftsland lassen es nicht zu, dass ein Mann pflegt bzw. ein Mann eine Frau pflegt. Falls echtes Interesse vorhanden ist, ist es aber gut vorstellbar, dass sie gut aufgenommen werden, weil es ja mittlerweile auch viele Pflege- bedürftige mit Migrationshintergrund gibt.“ Gertrude stammt ursprünglich aus Schwarzau im Gebirge in Niederösterreich. Mit 18 Jahren kam sie nach Wien. Auch sie hat Danijel positiv aufgenommen. 

 
 
 
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